Duisburg (dpa) – Christel und Peter bringen es auf den Punkt: «Scheisse R.I.P.» steht an einem Foto von Götz George, aufgeklebt an den Straßenschild-Masten der «Horst-Schimanski-Gasse» in Duisburg. Am Schild selbst hängt ein schwarzes Tuch. Eine Marita hat eine rote Rose an den Masten gelegt und «Jetzt ist der Himmel Ihre Bühne» in ein an George gerichtetes kleines Büchlein geschrieben. Duisburg-Ruhrort, Montag nach der Todesnachricht. Die Gasse gibt es wirklich, 2014 wurde eine kleine Hafenstraße so benannt, ganz offiziell.
«Sein Tod ist ein unersetzlicher Verlust für die Fernseh- und Kinokunst im ganzen deutschsprachigem Raum», sagte Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU).
«Wir verlieren mit Götz George einen großen deutschen Charakterschauspieler», sagte sein Schauspieler-Kollege Armin Mueller-Stahl. «Für mich war er der Beste, den wir hatten.»
«Er war so großzügig, lustig, talentiert», sagte Denise Virieux (52), die über 20 Jahre lang die Geliebte von TV-Ermittler Schimanski spielte, dem Hörfunksender hr1. «Seine Energie ist charakteristisch für ihn.»
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) nannte George einen «Ausnahmekünstler, der mit seinem vielseitigen, tiefgründigen und intensiven Spiel über Jahrzehnte Millionen von Menschen im In- und Ausland die Abgründe und Hintergründe unserer Gesellschaft offen legte».
«Adieu, Schimmi. Mit Götz #George verliert unser Land einen unserer großen Charakterdarsteller», twitterte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD).
Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) meinte: «Er war ein Großer, ein ganz Großer für Deutschland.»
«R.I.P. Götz George», rief Schauspieler Matthias Schweighöfer dem Verstorbenen auf Facebook nach.
Tom Buhrow, sagte: «Götz George war ein Gigant des deutschen Films.»
Hat Schimanski Duisburg gutgetan? «Halb – halb», sagt Adolf Schwemmer (73), der zufällig an der Gasse vorbeikommt. Die Schimanski-Tatorte hätten die Schmuddelecken der Stadt hervorgehoben. «In der Republik wurde das Schmuddelige eher gesehen als das Positive», sagt der Duisburger. Auch die Stadtoberen waren anfangs nicht begeistert, dass Schimanski in den weniger schönen Ecken ermittelt, berichtet Bürgermeister Manfred Osenger (SPD). Das wandelte sich erst, als Schimanski Kult wurde.
Arbeitskampf um das Krupp-Stahlwerk
Die Ruhrgebietsstadt am Rhein war unterdessen mehr als nur Kulisse für die vielen Schimanski-Tatorte und -Filme. Das Stadtgeschehen spielte auch selbst eine Rolle, etwa bei der Tatort-Folge «Der Pott», bei der der monatelange Arbeitskampf um das Krupp-Stahlwerk in Duisburg-Rheinhausen 1987/88 im Hintergrund stand. In diesem Tatort wurden sogar Original-Transparente als Requisiten verwendet, berichtet Theo Steegmann (60), der damals als einer von drei Betriebsratsvorsitzenden den Streik organisiert hatte.
Und auch George war in Duisburg nicht nur Schauspieler, der nach Drehende schnell wieder das Weite suchte. Bei besagtem Arbeitskampf besuchte er zusammen mit Eberhard Feik («Thanner») eine Mahnwache, spendete für das Solidaritätskonto und nahm an einer Betriebsratssitzung teil. «Wir waren sehr positiv überrascht», sagt Steegmann. Auf Schimanski mag er George gar nicht beschränken – obwohl: «In den Tatorten, die ein gutes Drehbuch hatten, hat er schon sehr authentisch den Duisburger Ruhri gespielt.»
Ach ja, der Parka
Auch sonst engagierte sich George in Duisburg. Osenger berichtet, dass George einmal einen seiner typischen Schimanski-Parkas für einen guten Zweck versteigerte. Ach ja, der Parka. Er hat es sogar ins Ruhr Museum in Essen geschafft. Allerdings ist dort nur «einer wie» zu sehen. Das ausgestellte Exemplar hat George nie selbst getragen.
Zurück nach Ruhrort, Café Kaldi in der König-Friedrich-Wilhelm-Straße in der Nähe der Schimanski-Gasse. Im Fenster steht ein Foto, auf dem Schimanski vor dem Café zu sehen ist. «Viel Glück» hat George darauf geschrieben. Ein Fenster weiter bezeugt eine schwarz-weiße Autogrammkarte mit einem noch recht jungen George die besondere Beziehung des Cafés zu dem Schauspieler. Es ist Mittagszeit und viel los. Eine Kellnerin mit «Schimi»-Shirt bedient die Gäste. Ein kleiner Tisch-Aufsteller verrät, dass sich hier auch ein «Schimi-Stammtisch» trifft. Den gebe es auch noch, verrät die Inhaberin.Götz George hat als «Schimmi» Geschichte geschrieben. Seine Art, Kumpel zu sein, Currywurst und Bier zu konsumieren oder «Scheiße» zu sagen, war einzigartig.
Schimanski war stilgebend
«Im Fernsehen war Götz George vor allem für den und durch den “Tatort”-Kommissar Schimanski stilgebend», sagte der Medienwissenschaftler Joachim Trebbe von der FU Berlin am Montag. «Eine absolut provokative Interpretation des Ermittlungsbeamten im (höheren) öffentlichen Dienst. Die Rolle erlaubt ihm, Sachen zu sagen, die man vorher im Fernsehen nicht gehört hatte. Teile dieser Rolleninterpretation sehen wir heute noch in jedem “Tatort” – sei es aus Münster, Dortmund oder München.»
Doch es wäre falsch, Götz George, der vor gut einer Woche im Alter von 77 Jahren gestorben ist, vor allem als Duisburger Ruhrpott-Rambo in Erinnerung zu behalten. Mit diversen anderen Rollen prägte er das kleine Kino, auch im boomenden Privatfernsehen der neunziger Jahre setzte er Zeichen. Für RTL II schlüpfte er in die Rolle des «Sandmanns», für Sat.1 wurde er «Das Schwein», für ProSieben wenig später «Der Racheengel». George wurde um die Jahrtausendwende herum zum Arbeitstier und nahm jährlich diverse Aufträge an – heiß umworben und hart an der Kapazitätsgrenze.
Von Knasti bis Alzheimer-Patient
«Als Götz George sich in dem Tatort “Duisburg Ruhrort” vor einer Plakatwand mit dem Bild seines Vorgängers Hans-Jörg Felmy verbeugte, um sich die Schuhe zu binden, war dies ein Abschied von der bisherigen Tradition des Deutschen Fernsehkrimis», sagte die Medienwissenschaftlerin Joan Kristin Bleicher aus Hamburg.
Doch bleibe er nicht nur als Actionheld Horst Schimanski in Erinnerung. «Sein Rollenspektrum im Deutschen Fernsehfilm war von einer großen Vielfalt gekennzeichnet. So spielte einen Alzheimerkranken ebenso intensiv wie einen Ex-Häftling.»
Schock für Denise: «Er war so großzügig, lustig, talentiert»
Denise Virieux (52), über 20 Jahre die Geliebte von TV-Ermittler Horst Schimanski, zeigte sich am Montag betroffen vom Tod ihres Filmpartners Götz George. Sie habe gar nichts von dessen Krankheit gewusst, sagte die gebürtige Schweizerin in einem Interview mit dem Hörfunksender hr1. «Deswegen war der Anruf heute Morgen wie ein Schock.» George war bereits vor gut einer Woche gestorben.
«Er war so großzügig, lustig, talentiert», sagte Virieux weiter. «Seine Energie ist charakteristisch für ihn.» Auch beim Dreh für den letzten Schimanski zu seinem 75. Geburtstag habe er «alle Stunts selbst gemacht, ist auf dem Boden herumgerollt.» Auch wenn sie natürlich «sehr traurig» sei, so Virieux, eines würde George «gar nicht mögen: Sentimentalität. Schimanski lebt weiter.»
«Schulz & Schulz»: Ab 1989 entstand ein illustrer Fünfteiler fürs ZDF, in dem George in einer Doppelrolle zwei Brüder im Westen und Osten Deutschlands verkörpert. Beim Treffen in Stralsund tauschen sie einfach beruflich und familiär ihre Rollen. Der erste Film wurde vor dem Fall der Mauer gedreht, die anderen Teile entstanden danach.
«Morlock»: Vier Filme bildeten die Reihe 1993 und 1994, in der George einen Unternehmensberater spielt, der seinen Kunden nicht in erster Linie bei der wirtschaftlichen Weiterentwicklung hilft, sondern ökologische Aspekte in den Vordergrund rückt. Gut gemeinteses Konzept, aber mit für George-Verhältnisse geringer Publikumsresonanz.
«Das Schwein»: Ein dreiteiliges Drama des aufstrebenden Privatsenders Sat.1, der damals keine Investitionen scheute, um mit großen Namen auf sich aufmerksam zu machen. Götz George ist 1995 in der satirisch angehauchten Verfilmung ein Unternehmer, der ohne Rücksicht auf Verluste nur an seine Karriere denkt – und scheitert.
«Der Sandmann»: Ein Kriminalthriller (auch 1995) im Auftrag des Senders RTL II, der mit dem Stück einen Coup landete, der sich nie wiederholte. George als Prostituiertenmörder, der sich nach verbüßter Haft als Autor einen Namen machen will. Eine junge TV-Reporterin will ihm aber noch eine weitere Tat nachweisen und gerät in seine Fänge.
«Die Bubi-Scholz-Story»: Der athletische Götz George 1997 mal in einer sportlichen Rolle. Der ARD gelang damals ein einfühlsamer Zweiteiler (Regie: Roland Suso Richter) mit George in der Hauptrolle als Boxer, der im Alkoholrausch seine Frau umbringt. Der Film wurde mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet.
«Mein Vater»: Im Jahr 2003 schlüpfte George für die ARD in eine von der Kritik viel beachtete Rolle: Der Busfahrer Richard Esser vergisst immer wieder, Stationen anzufahren. Als er einen Schwächeanfall erleidet, wird festgestellt: Er hat Alzheimer. Sein Sohn (Klaus J. Behrendt, der auch die Idee zum Buch hatte) nimmt ihn bei sich auf.
«Alpenglühen»: Im Duett mit Christiane Hörbiger entstanden 2003 und 2004 zwei Liebesromanzen um eine Almbäuerin und einen norddeutschen Fischhändler. Sein Geschäft geht pleite, er taucht ab, sie reist ihm wütend hinterher und stellt ihn zur Rede. Zu zweit lassen sich wirtschaftliche Hängepartien doch besser packen.
«Die Katze»: 2007 legte Götz George zusammen mit Hannelore Hoger noch einmal fürs Fernsehen (ARD) den Roman von Georges Simenon auf, den er bereits 1988 mit Gudrun Landgrebe fürs Kino realisiert hatte. Der Ex-Häftling und Polier sowie die Fabrikantentochter entscheiden sich für eine Heirat mit fatalen Folgen für beide.
«Der Novembermann»: Ein viel beachtetes Drama mit Burghart Klaußner, Götz George und Barbara Auer (2007). George spielt im ARD-Film den Liebhaber von Klaußners Frau Auer, die sich einmal jährlich in die Toscana verabschiedet, in Wirklichkeit aber zu George nach Sylt fährt. Als sie auf der Reise stirbt, fliegt die Affäre auf.
«George»: Götz George verarbeitete 2013 seine Familiengeschichte – Er spielt in dem ARD-Drama seinen Vater, den Schauspieler Heinrich George (1893-1946), ein vielbeschäftigter Star der Ufa zur Zeit des NS-Regimes. Der Film wechselt zwischen Spiel- und Dokumentarszenen – eine der schwierigsten Rollen in Georges Schauspielerleben.