Duisburg (dpa/tmn) – Junge Menschen haben heutzutage früh Kontakt zu Pornografie. Auch Alltagsmedien behandeln Themen rund um Liebe, Sexualität und Partnerschaft. Sie vermitteln bestimmte Bilder darüber, wie Körper auszusehen haben oder wie guter Sex ablaufen sollte.
Der Sexualpädagoge Carsten Müller empfiehlt daher, das Thema Sexualität aufzugreifen, sobald es von den Kindern angesprochen wird und sie Fragen stellen. Das könne auch schon im Kindergartenalter geschehen. «Man kann nicht nicht aufklären», sagt die Sexologin Magdalena Zidi. Sie empfiehlt sexuelle Aufklärung von Geburt an und rät, beispielsweise beim Wickeln alle Körperteile zu benennen, ohne eine verniedlichende Sprache für die Genitalien zu benutzen.
Je früher der Kontakt zu Medien und den von ihnen vermittelten Bildern entsteht, desto wichtiger ist es Müller zufolge Fragen ehrlich und auf Sachebene alters- und entwicklungsentsprechend zu beantworten. «Nur so haben Eltern einen Einfluss auf die Bilder, die bei den Kindern ankommen», so der Sexualtherapeut.
Den künstlichen Bildern eigene gegenüberstellen
Wichtig sei, so Müller, ab dem Grundschulalter Kindern eigene Bilder zu Liebe, Sexualität und Partnerschaft zu vermitteln, damit sie etwas in der Waagschale haben, was sie den künstlichen Bildern entgegensetzen können. Wenn sie dann auf Pornografie und andere Inhalte stoßen, können sie das in einen Abgleich bringen. Zidi nennt es Referenzrahmen, der es Eltern ermöglicht, ihre Werte zu vermitteln. «Sie können Ihren Kindern klarmachen, dass Sex in Pornos nicht echt ist, für Sie aber zu Sex unter anderem eine Beziehung, Liebe, Vertrauen oder eine Ehe dazugehört», sagt die Sexualpädagogin.
Mit ziemlicher Sicherheit werden Eltern mit der Pubertät nicht mehr die Top-Ansprechpartner für die Heranwachsenden sein. Müssen sie aber auch gar nicht. «Eltern sollten das sichere Netz bilden, in das Kinder fallen können, wenn es hart auf hart kommt», sagt Müller. Junge Menschen sollten seiner Meinung nach eine bunte Tüte an Sexualität bekommen, aus der sie schöpfen können – aus dem, was Eltern vor- und selbst an Sexualität ausleben, Informationen und eigener Erfahrung. «Es sollte nicht das Ziel sein, dass sie nicht auch Pornografie konsumieren werden», erklärt Müller.
Keine Generation Porno
Wie aber lassen sich eigene Vorlieben entwickeln, wenn man schon von pornografischen Inhalten geprägt ist und denkt, Analverkehr gehöre zum Standard? «Ich erlebe sehr viele junge Menschen, die ganz genau wissen, dass das nicht real ist», sagt Carsten Müller. Eine «Generation Porno» hält er für übertrieben.
Doch auch wenn Jugendliche einschätzen können, dass Pornos nicht die Realität sind, machen die Bilder trotzdem was mit ihnen, das lässt sich nicht verharmlosen. «Wenn Pornos die einzige Informationsquelle zu Sexualität sind, dann prägt das natürlich, vor allem wenn man keinen Bezugsrahmen und keine Verbindung zu seinem eigenen Körper hat», sagt Zidi.
Was es laut Magdalena Zidi braucht, ist eine gute Körperwahrnehmung, um zu wissen, was sich gut anfühlt und was nicht. Auch Solosex sei wichtig, um eigene Erfahrungen zu sammeln, den eigenen Körper wahrzunehmen und zu wissen, was einem gefällt, findet Carsten Müller. «Dann wird man leichter wahrnehmen, wenn Grenzen überschritten werden oder es an Grenzen geht. Das ist auch wichtig bei der Bekämpfung sexualisierter Gewalt», sagt der Sexualpädagoge und warnt vor blöden Sprüchen, falls sich Spermaspuren in der Bettwäsche finden.
Pornos sind keine Dokus
Zidi rät dazu, Kindern früh klarzumachen, dass es Filme für Erwachsene gibt, in denen Schauspielerinnen und Schauspieler Sex nachspielen. Pornos sind eben keine Dokus. Zidi sagt: «Pornos sorgen wie Actionfilme für einen Adrenalinausstoß, man will dranbleiben.» Bei den meisten Menschen sei der Sex aber nicht so aufregend wie im Film. So könne es sein, dass man sich an die Reize gewöhne und schwerer in die eigene Erregung finde.
Dazu kommt: Was man in Pornos nicht sieht, sind Vorgespräche oder generell Kommunikation. Es wird nicht über Verhütung, sexuell übertragbare Krankheiten oder Vorlieben gesprochen.
Geht Magdalena Zidi in Schulen, überlegt sie gemeinsam mit den älteren Jugendlichen, was man für einen guten Porno benötigt, von Licht über Ton bis Kamera – «das entzaubert», erklärt sie. Ihr geht es darum, Jugendlichen Wege aufzuzeigen, wie sie selbst mit Pornografie umgehen und selbstbestimmte, informierte Entscheidungen treffen können.
Wenn Ihr Kind mit Pornografie in Berührung kommt, ob freiwillig oder unfreiwillig, verteufeln oder verbieten Sie es nicht, sondern signalisieren Sie, dass Sie als Ansprechperson zur Verfügung stehen. Die größte Angst sei es, dass das Handy weggenommen werde, so Zidi.
Eigenes Vokabular statt peinlicher Stille
Was tun, wenn einem die Themen Sex und Porno zutiefst unangenehm sind und ein Gespräch mit der heranwachsenden Tochter superpeinlich ist? «Für manche Erwachsene ist das Reden über Sex so, als müssten sie eine neue Sprache lernen», sagt Carsten Müller und vergleicht es mit Vokabeltraining.
Auch in der Beziehung müsse besprochen werden, wie man mit den Themen Sex und Pornografie umgeht, wie man Geschlechtsteile benennt und eine gemeinsame Sprache findet. Haben Sie keine Angst davor, rät Zidi. Sehen Sie es als Chance, Ihre Werte zu vermitteln, sonst übernehmen das andere Menschen oder die Medien für Sie.
Und: Seien Sie ehrlich und geben Sie zu, wenn es Ihnen schwerfällt. Man darf auch mal gemeinsam lachen. Außerdem können Sie passende Bücher wie etwa «Sex in echt» zu Hause haben oder entsprechende Homepages vorschlagen, die Sie sich vielleicht nicht mit Ihrem Kind gemeinsam anschauen, aber anbieten können, falls der Bedarf entsteht. Am besten lesen Sie die Bücher vorher selbst, vielleicht lässt sich ja noch etwas daraus lernen.