Essen/Stuttgart (dpa/tmn) – Einmal in der Woche zusammen Canasta spielen, regelmäßig zusammen kochen oder gemeinsam ins Kino oder ins Theater gehen: Für viele befreundete Paare gibt es feste Termine und Anlässe, um sich zu treffen. Und natürlich soll sich daran auch nichts ändern, wenn jemand von ihnen stirbt.
Doch vor allem Witwen erleben: Wenn sie plötzlich alleine in diesem Kreis sind, ist alles anders. Nicht nur, weil sie sich selbst unwohl fühlen, sondern auch, weil sie ausgeschlossen werden.
«Männer werden eher bedauert, getröstet und mal zum Essen eingeladen. Bei Frauen, die einen Partner verlieren, geschieht häufig der Rückzug des Umfelds», sagt Trauertherapeut und Autor Roland Kachler. Insbesondere Paare gehen irgendwann auf Abstand. «Weil eine alleinstehende Frau oft als Gefährdung für die bestehenden Paare empfunden wird», erklärt der Experte.
Männer weniger gefährlich für die eigene Beziehung?
Einen solchen «Sekundärverlust» erleben Männer seltener: «Bei ihnen wird die Gefahr für die eigene Beziehung nicht so groß empfunden, weil klar ist, dass sie eher jemand ‘Freies’ finden», sagt der psychologische Psychotherapeut. Grund dafür ist nicht zuletzt die Bevölkerungsstatistik, wonach es ab etwa 60 Jahren einen Überschuss von verwitweten und alleinstehenden Frauen gebe.
Auch Carmen Birkholz, Vorsitzende des Bundesverbandes Trauerbegleitung, kennt solche Reaktionen. «In den ersten Wochen nach dem Tod, in der Versorgung der akuten Trauer, spielt das noch keine Rolle. Aber das ändert sich später, wenn die Witwen aus der ersten Fragilität heraus sind und wieder selbstsicherer werden.» Das ablehnende Verhalten der Freunde tritt hingegen nicht ein, wenn es in der Vergangenheit auch Einzelbeziehungen gab und nicht ausschließlich Treffen unter Paaren.
Umfeld kann die Trauer nicht länger ertragen
Und es gibt noch einen anderen Grund, warum sich Freunde plötzlich abwenden: «Es ist grundsätzlich so, dass Menschen in der Regel länger trauern, als das Umfeld es ertragen oder aushalten kann», weiß die Theologin. Oft hätten Freunde auch das Bedürfnis, der oder dem Verwitweten zu sagen: «Es hat sich nichts geändert, es bleibt alles wie es ist. Du gehörst doch zu uns!» Im ersten Moment tut das vielleicht gut.
Aber es lässt außer Acht, dass die Betroffenen einen enormen Veränderungsprozess durchleben müssen. Denn für denjenigen, der seinen Partner oder seine Partnerin verloren hat, ist alles anders. Und es kann eben nicht bleiben, wie es ist.
Bekanntenkreis spaltet sich in zwei Gruppen
Wie man sich in solchen Situationen verhält, wenn sich die befreundeten Paare zurückziehen? «Man muss es realistisch einschätzen», sagt Roland Kachler. Das heißt: Nicht versuchen, etwas zu erzwingen oder zu erwarten. «Sondern lieber diesen Prozess zulassen und auch klar bekommen: Das wird jetzt passieren. Der Bekanntenkreis wird sich ein Stück aufspalten.» In die, die sich abwenden, und die, die neue Situation nicht als Bedrohung empfinden.
Und natürlich bleiben auch gute Freundinnen, die den Weg mitgehen, und deren Partner es auch aushalten können, dass sich ihre Frauen um die Trauernde kümmern. Und zwar richtig. «Häufig wird gesagt: Wenn du etwas brauchst, dann melde dich. Aber dazu hat die Trauernde in aller Regel keine Kraft mehr. Zudem möchte sie niemandem zur Last fallen.»
Ein Teufelskreis: Denn die Trauernde nimmt sich häufig zurück – mit dem Ergebnis, dass sich das Gegenüber, die Anderen, dann ebenfalls nicht melden. «Dann verlaufen die Beziehungen im Sande und man bleibt alleine zurück.»
Der Wechsel von der Paar- in die Einzelidentität
Auf keinen Fall sollte man den anderen hinterherlaufen, rät Kachler: «Wenn ich mehrmals nachgehakt habe und wenn ich spüre, da kommt nichts, dann muss ich mich nicht kleinmachen oder warten und immer weiter hoffen. Das macht keinen Sinn.»
Manchmal kann es auch heilsam sein, sich selbst ganz bewusst von den alten Freundespaaren zurückzuziehen, meint Carmen Birkholz. Vor allem dann, wenn man sich mit seinen Emotionen und Veränderungen im Leben auseinandersetzt und von der Paar- in die Einzelidentität wechselt. «Dann gibt es oft eine schmerzhafte Ebene, dass ich merke: Da sind immer nur Zwei und immer nur Pärchen vor meinen Augen. Und in dem Bild spüre ich dann meinen Schmerz, dass ich kein Paar mehr bin.»
Mitunter kann diese Verwandlung der Identität dazu führen, dass man erstarrt, man verbissen wird oder die Konflikte böser werden. «Es kann zu einem Mantra werden, wenn man der Freundin immer wieder sagt: Du kannst das ja nicht verstehen, du hast ja deinen Mann noch.» Da hilft es manchmal, wenn sich Freundschaften lockern und man sich auf andere Kontakte konzentriert.
Kontakte reaktivieren oder Trauergruppe anschließen
«Frauen können sich besser organisieren und haben in der Regel ein größeres Beziehungsnetz als Männer, deren Frauen gestorben sind», sagt Kachler. «Sie haben noch Freundinnen aus der Gymnastikgruppe oder auch Kolleginnen. Diese Beziehungen sollten sie aktivieren oder versuchen zu reaktivieren.» Eine gute Idee sei es zudem, sich einer Trauergruppe anzuschließen.
Das findet auch Carmen Birkholz: «Da tut es einfach gut, sich entspannen zu können. Weil man sich auch nicht immer erklären muss, sondern einfach mal sagen kann: Ihr wisst ja, wie es mir geht.» Was danach aus diesen Kontakten passiert – das ist absolut offen. Manchmal entwickeln sich aus diesen Kreisen nicht nur Beziehungen für eine bestimmte Phase, sondern auch Freundschaften auf Dauer.
Und manchmal kehrt auch der Kontakt zu den alten Freundes-Paaren zurück. Vorausgesetzt, diese erwarten nicht, dass alles wieder so ist wie vorher. «Dann kann ein bestehender Freundeskreis eine große Ressource sein», sagt die Trauerbegleiterin. Irgendwann sei es dann vielleicht sogar möglich, einen neuen Partner oder eine neue Partnerin in die alte Gruppe miteinzubringen.
Literatur:
Roland Kachler: «Meine Trauer wird dich finden: Ein neuer Ansatz in der Trauerarbeit», 2017, Herder, 192 Seiten, 18 Euro, ISBN: 978-3451600456.
Roland Kachler: «Was bei Trauer gut tut: Hilfen für schwere Stunden», 2011, Herder, 120 Seiten, 10 Euro, ISBN: 978-3451610479.