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Von Manufaktur bis Fließband: Sachsens Fahrradbranche im Tritt

Die Produktion von Fahrrädern hat in Sachsen weit mehr als 100 Jahre Tradition. In den vergangenen Jahren haben findige Entwickler neue Produkte rund um das Zweirad auf den Markt gebracht. So gehören zu den 300 Unternehmen hierzulande auch etliche Start-ups.

Ein Dutzend Spulen tanzen im Kreis und flechten in einer Maschine pausenlos ein Band aus Polyester. Einst war das historische Gebäude am Rand von Chemnitz eine Strumpffabrik, heute werden dort Fahrradteile produziert. Dabei setzt das Start-up Pi Rope für die Speichen ganz in der Tradition des Hauses auf Textil statt Metall. Sie werden später mit Naben und Felgen aus Aluminium und Carbon zu besonders leichten Rädern zusammengesetzt, die im Set nur etwas mehr wiegen als ein Päckchen Zucker. Der Großteil der Fertigung sei Handarbeit, betont Gründer Ingo Berbig. Die 2017 ins Leben gerufene Manufaktur hat inzwischen zehn Mitarbeiter und rund 1600 Laufradsets in alle Welt verkauft.

In den vergangenen Jahren sind in Sachsen neben Traditionsunternehmen wie Diamant zahlreiche neue Firmen rund ums Fahrrad entstanden. Während Pi Rope mit seinen Rädern, die im Set ein paar Tausend Euro kosten, vor allem auf Wettkampf- und ambitionierte Freizeitsportler setzt, profitiert der Hersteller Pendix mit Sitz in Zwickau vom Trend zum Elektrofahrrad. Das Unternehmen, das dieses Jahr zehnjähriges Jubiläum hat, fertigt Sets aus Akku und Motor, mit denen Fahrräder zum E-Bike aufgerüstet werden können.

Etwa 7000 solcher Antriebe werden pro Jahr europaweit verkauft, berichtet Mitgründer Thomas Herzog. Außerhalb Deutschlands seien die Niederlande der wichtigste Absatzmarkt. Das seit Herbst 2022 mehrheitlich zu Johnson Electric gehörende Unternehmen setzt mit 63 Mitarbeitern auf weiteres Wachstum. So wurde ein neuer Motor entwickelt, der künftig in Großserie für Hersteller von E-Bikes produziert werden soll. Zur Gruppe gehört zudem der Produzent von Lastenrädern VSC Bike in Sachsen-Anhalt. In Zukunft wolle Pendix verstärkt in den USA Fuß fassen, erklärt Herzog.

Junge Unternehmen wie Pi Rope und Pendix sind vorrangig in Nischen unterwegs, Sachsens Fahrradwirtschaft hat in den vergangenen Jahren insgesamt aber vom Boom der Branche profitiert. Der Radverkehr habe nicht nur umwelt- und verkehrspolitische, sondern starke wirtschaftliche Bedeutung, konstatiert Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD). Getrieben sei das Wachstum zuletzt vom Trend zu E-Bikes sowie der Nachfrage nach hochwertigen Fahrrädern gewesen. Die Branche erwirtschafte in Sachsen mit rund 10 000 Beschäftigten in mehr als 300 Unternehmen einen Jahresumsatz von mehr als 1,5 Milliarden Euro.

Allein auf rund 300 Millionen Euro belaufen sich die Erlöse der Diamant Fahrradwerke. Das Unternehmen steht für die lange Tradition der Zweiradproduktion in Sachsen – seine Wurzeln reichen bis 1885 zurück. Es gilt damit als ältester produzierender Fahrradhersteller Deutschlands. Täglich werden in Hartmannsdorf bei Chemnitz zurzeit 1000 bis 1200 Fahrräder in zwei Schichten an Fließbändern montiert und vorrangig in Deutschland und Europa verkauft.

Die Nachfrage nach Fahrrädern hatte in der Zeit der Corona-Pandemie geboomt und die Branche 2022 nach Angaben von Verbänden ein weiteres Rekordjahr erzielt. Demnach lag die Produktion mit 2,6 Millionen Fahrrädern auf einem Allzeithoch. Inzwischen sind die Lager vieler Händler gut gefüllt und können Käufer in einigen Segmenten Rabatte erzielen. Gerade bei E-Bikes hält der Boom den Angaben nach aber an, eine Sättigung wird noch nicht gesehen.

Nach zweistelligen Wachstumsraten erwartet Diamant-Geschäftsführer Mirco Schmidt dieses Jahr eine Konsolidierung. «Das ist in unseren Augen ein temporärer Effekt.» So investiert das Unternehmen mit rund 700 Mitarbeitern bereits in den Ausbau der Produktion. Dazu entsteht eine neue Versandhalle und wird die Fertigung erweitert. Schmidt spricht von einer Verdoppelung der Fläche. Wie viel das Unternehmen genau investiert, darüber hüllt er sich allerdings in Schweigen. In Hartmannsdorf werden Fahrräder der Marken Diamant, Trek und Electra hergestellt – insgesamt 130 Modelle in etwa 2700 verschiedenen Ausführungen, wie Schmidt erläutert.

Doch nicht nur in der Produktion von Fahrrädern und Fahrradteilen sind Firmen aus Sachsen aktiv. Damit Radfahrer ihre oft hochwertigen Räder sicher vor Dieben und wettergeschützt an öffentlichen Plätzen und Bahnhöfen abstellen können, baut das Unternehmen RWC Factory in Hainichen (Landkreis Mittelsachsen) Container zu Fahrradgaragen um. Auf einer Fläche von 16 Quadratmetern bieten sie bis zu 24 Zweirädern Platz. Ergänzt wird das Ganze durch ein Buchungs- und Bezahlsystem sowie Lademöglichkeiten für E-Bikes.

Die erste Anlage wurde 2021 in Betrieb genommen, erläutert Gründer Patrick Rabe. Seither habe sich der Umsatz jährlich etwa verdoppelt und wurden inzwischen 15 solcher Fahrradgaragen gebaut – sie stehen in Pirna, ebenso wie in Berlin, Emden und mehreren Städten in Bayern. Die nächsten sind in Arbeit und sollen künftig auch an weiteren Orten in Sachsen aufgestellt werden.

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