Berlin/Washington (dpa) – Was für ein unfassbares Ergebnis. Nach Monaten härtester Auseinandersetzungen hatten viele auf einen neuen Anfang für die USA gehofft. Nun war die größte Anspannung vielleicht nur Vorbote für das, was noch kommen kann. Die USA stehen davor, ein anderes Land zu werden.
Donald Trump, ein Mann ohne jede politische Erfahrung, der ungewöhnlichste und umstrittenste aller Kandidaten, er wird der nächste Präsident des mächtigsten Landes der Erde. Der Populist bezwingt die Staatsfrau. Ein Menetekel, auch für Europa?
Diese Wahl war auch deswegen so immens wichtig, weil die Welt verwoben ist wie nie zuvor. Dringend werden die USA zurückerwartet auf der Weltbühne, von der sie sich, innig wahlkämpfend, eine lange Auszeit genommen hatten.
Auf diese Bühne führt die letzte Supermacht nun, wohlgemerkt demokratisch gewählt, ein unberechenbarer Unternehmer, der nie ein Amt inne hatte. Eine ganze Umfragenindustrie wird sich fragen müssen, wie das eigentlich möglich war. Dass es knapp werden würde – gut. Aber dass der Republikaner in so vielen Staaten gewinnen würde? Niemand hatte dieses Ergebnis so kommen sehen.
Ein Mann, der kaum Steuern bezahlt
Donald John Trump: Ein Mann, der kaum Steuern bezahlt, der Frauen unsäglich behandelt, Minderheiten beleidigt und Behinderte, der eine beispiellose Verrohung des politischen Klimas auslöste. Aus dem politischen Nichts katapultiert er sich ins Oval Office. Getragen von einer Welle der Wut und der Enttäuschung mit dem System, mit Washington, vor allem aus dem weißen Amerika.
Trump wird ein erschöpftes Land regieren, das gleich mehrfach gespalten ist. Viele Wunden sind geschlagen worden in diesem oft entsetzlichen Wahlkampf, und dringend bräuchte das Land nun Linderung. Dass Trump heilende Kräfte hätte, mag man nicht wirklich glauben.
Am Abend der Wahl liegen die Quartiere Clintons und Trumps in New York nur 15 Blocks auseinander, Luftlinie zwei Kilometer. Und doch könnten sie innerlich weiter entfernt nicht sein, das Land nicht getrennter. Man muss von tektonischen Verschiebungen sprechen, von zwei riesigen Ländern in einem, die praktisch nichts mehr verbindet.
Verborgene Trump-Stimmen
Offensichtlich gab es doch so etwas wie verborgene Trump-Stimmen. Jede Menge sogar. Sie haben sich erst jetzt zu Wort gemeldet, trotzig und zuhauf. Viele fürchten, dass sich jetzt der «Trumpismus» Bahn brechen wird. Laut, rücksichtlos, brutal, Ich-bezogen. Das diverse, das bunte Amerika, in dem die jetzigen Minderheiten bald die Mehrheit bilden werden, es hat sich bei dieser Wahl nicht durchgesetzt.
Man muss es wohl so sagen: Barack Obamas Amerika ist abgewählt. Zumindest hat es 2016 keine Mehrheit mehr, allen Beliebtheitswerten Obamas zum Trotz. Nun kommt Trump, und der will eine Kulturrevolution.
Trump kam ja nicht als Außerirdischer in diese Wahl, im Gegenteil. Ungläubig bewegte sich ein republikanisches Elektorat erst tastend auf ihn zu, entdeckte die große Deckung im Spektrum der Ansichten – und entflammte. Die Sehnsucht nach einem früheren Amerika, mehr Härte gegenüber Dritten, Grenzen dicht und laut draufhauen, das hat Trump ja nicht exklusiv.
Die Republikaner zerlegt
Die Republikaner hat Trump zerlegt, Schritt für Schritt. Seine Wähler scheint das wenig interessiert zu haben. Es wird spannend zu sehen, ob der Präsident liefern wird können, was der Wahlkämpfer so lauthals versprach. Und es wird spannend, wie die Partei, die ihn nun wirklich nicht liebt, mit ihrem goldblonden Präsidenten umgehen möchte.
Viele halten Trump für einen Autokraten, einen Autoritären, nahe am Faschismus. Er wird kräftig durchregieren können, hat seine Partei doch auch das Repräsentantenhaus und den Senat auf seiner Seite. Er kann schalten und walten fast nach Belieben, auch den vakanten Sitz am immens wichtigen Obersten Gericht in seinem Sinne besetzen.
Fassungslose Demokraten
Clintons Fluttore haben nicht gehalten, ihre Brandmauer blauer Staaten auch nicht. Fassungslos erleben die Demokraten das Ende eines politischen Lebens, auch einer Dynastie. Besonders bitter für Clinton: Sie hat die Mehrheit der Stimmen geholt, aber eben nicht die der Wahlmänner. Das ist in diesem Wahlsystem aber egal. Erst vier Mal ist das passiert, seit es die USA gibt.
Zutiefst unbeliebt musste die Kandidatin Clinton in diese Schlacht ziehen, die sich so ungefähr alle leichter für sie vorgestellt hatten. Sie war nicht mehr die richtige Kandidatin für diese Zeit. Je unmöglicher Clinton gemacht wurde, umso hoffähiger wurde Trump, allen Faktenchecks und nachgewiesenen Lügen zum Trotz.
Schwäche im «Rust Belt»
Clintons Schwäche im «Rust Belt», den alten, leidenden Industriestaaten im Nordosten, war ihr Untergang. Sie hat sogar Michigan verloren. Und Wisconsin: Das holte zum letzten Mal 1984 ein Republikaner, er hieß Ronald Reagan.
Zum ersten Mal hatten bei einer wirklich großen Wahl soziale Medien zentralen Einfluss. Die Botschaften: oft reduziert auf 140 Zeichen Klickschlacht. Trump saß im Kommandostand seiner Twittersalven, Herr und Vorbild für eine Welt voller Trolle. Inhaltliche Auseinandersetzungen, ein Wettstreit um Ideen, sachliche politische Auseinandersetzungen – das war plötzlich alles so 20. Jahrhundert.
Ist unter Trump in den USA eine neue Rechte entstanden? Trumps Anhängerschaft war immer sehr viel mehr Bewegung als Partei, aber der grobe Rechen bringt nicht viel. In Millionen misst sich die Zahl derer, die als weiße Arbeiterschicht von allen Parteien verlassen wurden und Trump folgen. Trumps Bewegung ist ungeheuer divers. Alles dabei: Offene Ultrarechte, enttäuschte Liberale, Frauen, Kleinunternehmer, Lehrer und viele mehr.
Angry white Trash
Ganz, ganz überwiegend sind sie weiß. Die überwiegend weißen Bezirke wählten Trump zu 75 Prozent. Die USA haben noch nie einen offen nationalistischen Präsidenten gewählt. Auch für republikanische Präsidenten waren Immigranten immer Teil der amerikanischen Identität. Nun gratulierte der Ku Klux Klan dem neuen Präsidenten. Welcher Geist ist mit dieser Wahl aus der Flasche?
Nach dem Erfolg Donald Trumps bei der US-Präsidentschaftswahl hat sich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) besorgt gezeigt über die Art der politischen Auseinandersetzung – auch in Deutschland. In einem Beitrag für die «Bild»-Zeitung (Donnerstag) schreibt der CDU-Politiker: «Demagogischer Populismus ist nicht nur ein Problem Amerikas. Auch anderswo im Westen sind die politischen Debatten in einem besorgniserregenden Zustand.»
Wahr? Scheißegal
Vor allem im Internet sei inzwischen «völlig egal, ob Behauptungen wahr sind – Hauptsache, der Empörungsgrad stimmt.» Vereinfachung habe eine Untergrenze. Als Ursache des zunehmenden Populismus nannte Schäuble auch, «dass die Eliten in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nicht immer ein gutes Bild» abgeben würden.
Zudem seien Entscheidungsprozesse häufig kaum noch nachvollziehbar. Der Minister forderte: «Jeder muss bereit sein dazuzulernen. Wenn wir für die Perspektive des anderen und fürs Umdenken offen sind, hat es der demagogische Populismus schwer.»
Unionsfraktionsvize Hans-Peter Friedrich warnte derweil vor einem Trump-Effekt und dem Erstarken von Populisten in Deutschland. Viele Menschen fühlten sich fremdbestimmt, sagte der CSU-Politiker der «Bild»-Zeitung (Donnerstag). Wenn sie von den Volksparteien keine Antworten bekämen, würden sie sich auch hierzulande den Populisten zuwenden.