Oberaudorf (dpa/lby) – Wo vor wenigen Tagen ein Braunbär Schafe gerissen hat, sind am Wochenende zahlreiche Ausflügler unterwegs. «Der Schock hat sich gelegt», sagt Simone Braun, Wirtin des Berggasthofs Bichlersee in der Gemeinde Oberaudorf. Auf der Terrasse ihres Gasthofs sind die meisten Tische belegt, Radfahrer, Wanderer und Motorradfahrer gönnen sich bei frühlingshaften Temperaturen und Sonnenschein eine Pause. Auf einer nahe gelegenen Weide hatte der Bär zwei Schafe gerissen und ein drittes verletzt, das daraufhin getötet werden musste.
«Am Tag nach dem Vorfall war Riesenaufregung, aber am nächsten Tag war auch wieder alles in Ordnung», sagt Braun. Auch bei ihren eigenen Schafen sei der Bär vergangene Woche vorbei gekommen, ist sie sich sicher. Die Tiere seien zwar nicht verletzt worden, sie hätten sich aber ängstlich verhalten und den Stall einige Zeit nicht mehr verlassen wollen.
«Es war ein bisschen langwierig, bis wir die Schafe wieder im Freigehege hatten, aber es geht mittlerweile wieder», sagt die Gastwirtin.
Auch die Ausflügler lassen sich den schönen Frühlingstag nicht wegen eines Bären entgehen. «Respekt habe ich schon, aber keine Angst», sagt Thomas Breitenauer, der zum Wandern in der oberbayerischen Gemeinde an der Grenze zu Tirol unterwegs ist. Besondere Vorsichtsmaßnahmen hätten er und seine Begleitung nicht ergriffen. «Wenn man weiß, es ist eine Bärengegend, dann ja. Aber wegen einem Bären werde ich jetzt kein Bären-Spray einpacken».
Ein gewisses Unbehagen bleibt bei manchen aber doch. «Wir waren auf dem Weg zu einer Höhle, und da haben wir uns schon überlegt, ob das so eine gute Idee ist», sagt eine Wanderin. Ansonsten habe sie sich aber nicht gefühlt, als wäre sie in Gefahr.
«Ich hatte überhaupt keine Bedenken», sagt auch Volker Niggel, der zu einem Oldtimertreffen in Oberaudorf ist. «Der Bär geht ja nicht auf Menschen los.»
Andere sind sich da nicht ganz so sicher. «Wir haben bei uns im Gasthof gefragt, ob man hier angesichts der Situation bedenkenlos wandern gehen kann, vor allem mit Kindern», sagt eine andere Frau. Ihnen sei aber versichert worden, das sei «gar kein Problem, der Bär ist bestimmt schon weg.»
Zuletzt gab es den Behörden zufolge im Sommer 2022 Bären-Nachweise in Bayern – damals in den Landkreisen Bad-Tölz-Wolfratshausen und Garmisch-Partenkirchen. Vor allem junge Bärenmännchen legen auf der Suche nach einem eigenen Territorium oft weite Strecken zurück. Eine dauerhafte Ansiedlung von Bären im Freistaat erwarten Fachleute nicht.
Die nächste Bären-Population befindet sich nach Angaben des Bayerischen Landesamts für Umwelt (LfU) im von Bayern etwa 120 Kilometer entfernten italienischen Trentino, wo eine Bärin Anfang April einen Jogger tötete. Dort leben demnach rund 100 Bären. Der bayerische Bär verhält sich Menschen gegenüber nach bisherigen Kenntnissen scheu.
Weitestgehend unbesorgt erkunden die Ausflügler daher am Wochenende die oberbayerische Landschaft, wo noch vor wenigen Tagen der Bär umherstreifte. Den Tagesgästen sei das «mehr oder weniger egal», sagt Braun. «Da sind eventuell sogar ein paar Schaulustige dabei, die sagen, jetzt schauen wir mal, wo der Bär so steppt».
Bei den Langzeiturlaubern, die auf dem Gasthof an der Grenze zu Tirol teils eine ganze Woche Wanderurlaub machen wollen, seien die Sorgen schon größer. «Da haben wir schon einige Anrufe gehabt, die gefragt haben: Wie ist die Situation? Ist es gefährlich? Können wir wandern?», sagt Braun. «Das wird sich erst noch rausstellen, ob das auch negative Auswirkungen auf den Tourismus hat.»
Nach Einschätzung von Uwe Friedel, Experte für Wolf und Bär beim Bund Naturschutz (BN), müssten die Menschen im Landkreis Rosenheim wegen des Bären nicht auf Freizeitaktivitäten verzichten. Sein Rat: Auf den Wegen bleiben, Hunde anleinen, keine Essensreste zurücklassen und mit wachen Sinnen unterwegs sein.