„Die Calle Florida, wohl die berühmteste Fußgängerzone Südamerikas, war gleich ums Eck, und dort fanden die beiden schnell eine schöne Caféterrasse, von der aus sie die flanierende Menschenmenge beobachten konnten und vor allem eine Tangogruppe, die versuchte, mit ihrer sehr professionellen Vorführung ein paar Peso zu verdienen und auf die Nachtvorstellung in einem Tangoclub aufmerksam zu machen.” (S. 151)
Die Gefallenen des Falkland-Krieges
„So ging sie die Florida Richtung Osten, Richtung Bahnhof Retiro. Hatte kaum Augen für das quirlige und geschäftige Leben dieser Promeniermeile. Sie querte unter schattigen Bäumen den Plaza San Martín, ging Richtung Big Ben, vorbei an einem Soldatendenkmal, vor dem zwei Soldaten mit starrem Blick unbewegt Wache hielten. Sie wunderte sich über den Turm, den Torre de los ingleses, warum dieser die Zeitläufte dort unbeschadet überstanden hatte. Schließlich ehrte das Soldatendenkmal die Gefallenen des Falklandkrieges, immer den Turm in Sicht, den die Engländer irgendwann vor 100 Jahren den Argentiniern gestiftet hatten und ihnen damit wohl hatten zeigen wollen, was die Zeit geschlagen hatte. Gleich links gegenüber die braun-graue imposante Fassade des Bahnhofes Retiro, von wo aus die Züge Richtung Nordosten abfuhren.“ (S. 178)
„Und schon war sie am Hafen und bewunderte ein voll betakeltes Segelschiff. Kaum zu glauben, dass sie an an einem Fluss stand, der hier etwa 100 Kilometer breit war und Argentinien von Uruquay trennte. Sie musste an die Geschichten denken von den Desaparecidos, den Verschwundenen während der Militärdiktatur in den späten siebziger und frühen achtziger Jahren. Angeblich wurden viele einfach über dem Río de la plata aus einem Flugzeug geworfen. Diese Militärregierung hatte auch den Falklandkrieg angezettelt, wahrscheinlich nur, um von den innenpolitischen Schwierigkeiten abzulenken. Inflationsraten von mehreren 100 Prozent drohten das einst so reiche Land vollends zu ruinieren.“ (S. 178)
Plantagen trocknen das Gebiet aus
„Concepción ist die Hauptstadt des Departamento Concepción in der Provinz Corrientes. Die Ansiedlung war ursprünglich unter seinem Guaraní-Namen Yaguareté Corá bekannt, der auch heute noch gebräuchlich ist. […] Diese Region war ursprünglich eine nicht sehr waldreiche Savanne mit viel Niederschlägen und relativ hohen Temperaturen. Heute ist es ein wichtiges, wenn nicht gar das wichtigste forstwirtschaftliche Gebiet Argentiniens, dank der äußerst günstigen Bedingungen für den Plantagenanbau. […] Die riesigen Eukalyptus-Plantagen verringern den Wasserhaushalt des Sumpfgebietes. Denn der Eukalyptus benötigt viel Grundwasser und trocknet das Gebiet aus.“ (S.208/9)
„Nur wenige Meter entfernt starrten sie große Augenhöhlen aus einem ausgebleichten Stierschädel an, der inmitten weißer Gebeine thronte. Nicolás zuckte nur mit den Schultern: ,Das ist Natur! Das ist Argentinien!‘ Die beiden Reiter, die fast lautlos auf dem weichen Waldboden aus dem Schatten auf sie zukamen, sah Simone viel zu spät. Doch was hätte es gnutzt, wenn sie die zwei aufrecht sitzenden Gauchos mit ihren mächtigen schnurrbärten früher bemerkt hätte? Sie saßen hoch und drohend auf ihren braunen Pferden, so nah, dass Simone Angst hatte, dass eines nach ihr ausschlagen würde.“ (S. 212)
Scheine im Pass
Gaby reichte ihren Pass und ihren Führerschein einem der Polizisten hin. Der blätterte lange in den Papieren, obwohl es dort wahrlich nicht viel zu lesen gab. ,Es alemana?‘, fragte er nach einer langen weile betont langsam, gab den Pass seinen Kollegen und schaute dann auffordernd zu Joaquín. Der reichte ihm ebenfalls seine Papiere. Wieder bätterte der Polizist darin. Doch diesmal nicht so lange. Er nahm die Scheine mit einer geschickten handbewegung aus dem Pass, seine Miene hellte sich auf, soweit man das in dem blau aufblitzenden Licht sehen konnte. ,Vienes de Buenos Aires?‘, fragte er eine Spur freundlicher. ,Si, y tenemos que ir a Concepción en la Provincia Corrientes!‘ ,Buen viaje!‘, wünschte der Polizist, indem er Gaby Pass und Führerschein wieder zurück gab.“ (S. 230)
,Señor Bayer‘, wiederholte der unbeteiligt und müde wirkende Polizist in der engen Dienststube. Seine Dienstkappe lag auf dem Schreibtisch, daneben eine Maschinenpistole, so wie Gaby sie in der Nacht bei den Polizisten gesehen hat. Vergeblich drehte ein Deckenventilator gegen die drückende Hitze an. Der Polizist versuchte, jede überflüssige Bewegung zu vermeiden, so dass er sich weder erhoben hatte, als Gaby und Joaquín in die Station gekommen waren, noch mit irgendeiner Handbewegung diese zum Sitzen aufforderte.
Er lehnte nur in seinem Stuhl und wiederholte noch einmal: ,Señor Bayer ist ein ordentlicher Bürger. Da liegt sicher ein Missverständnis vor. Ohne einschlägige Fakten können wir unmöglich in sein Anwesen eindringen.‘ […] ,Señor Schöngeist wurde entführt. Und zwar bis auf das Grundstück von Señor Bayer!‘ Gaby konnte ganz schön energisch klingen. ,Das sagen Sie!‘ DerPolizist ließ sich nicht aus seiner unbeteiligten Ruhe bringen. Joaquín nahm sich derweil einen Stuhl, setzte sich zum Schreibtisch des Polizisten und zog aus seiner Tasche ein Foto von Thomas Schöngeist. Dieses legte er zusammen mit fünf 100-Peso-Scheinen auf den Schreibtisch. […] Der Polizist hörte sich das ungerührt an, nahm das Foto, und während er es eingehend betrachtete, steckte er beiläufig die fünf scheine in die Hosentasche. ,Ich glaube, Señor Schöngeist ist ein wichtiger Mann. Ein sehr wertvoller Mann!‘“ (S. 271/72)