Berlin/Wien (dpa) – Zumindest bis vor Corona schien es ein gängiges Ritual in großen Unternehmen oder Behörden zu sein: Ab etwa 12 Uhr mittags brach Unruhe aus, Flure füllten sich mit Kolleginnen und Kollegen, die Richtung Kantine strömten – im Stimmengewirr war immer wieder die Floskel «Mahlzeit» zu hören. Der Mittagspausengruß schlechthin, der auf dem Weg zum Lunch, sozusagen im Vorbeigehen, gesagt wird und nicht am Beginn des Mittagessens (wenn es meistens nur «Guten Appetit» heißt). Was hat es mit der altbackenen Grußformel auf sich? Und: Wie out ist sie inzwischen?
Wenn früher jemand im Büro aufstand und «So. Mahlzeit.» sagte, dann hieß das so viel wie «Ich gehe jetzt essen – kommt jemand mit?». Manche fühlten sich dann zu einem Wortwitz bemüßigt: «Wie denn, ohne Stifte?» – als ob «Malzeit» gesagt worden sei.
Sich gegenseitig «anzumahlzeiten» scheint heutzutage weit weniger üblich zu sein als noch vor, sagen wir, zehn Jahren – vielleicht auch weil heute öfter zu Hause statt im Büro vor dem Computer gesessen und gegessen wird. «”Mahlzeit” ist zwar durchweg deutsch, aber zweifellos aus der Mode», meint der Frankfurter Unternehmens- und Personalberater Hans-Peter Luippold.
«Mahlzeit» wurde – oder wird – in vielen Gegenden Deutschlands sowie in Österreich zur Mittagszeit als knapper Gruß benutzt. Es ist wohl eine Kurzform der früher verbreiteten Worte «Gesegnete Mahlzeit!». Die Verkürzung war schon im 19. Jahrhundert üblich, wie das Wörterbuch der Brüder Grimm verrät.
In der deutschsprachigen Schweiz ist der Gruß dagegen unüblich. Dort gibt es beim Verlassen des Arbeitsplatzes oder direkt vor dem Essen den schweizerdeutschen Ausspruch «En Guete!» (Guten Appetit).
Bei den Grimms schon belegt war auch die ironische Verwendung zum Beispiel als Ausdruck des Missmuts oder der negativen Überraschung wie «Na, Mahlzeit». Schon Friedrich Schiller benutzte die Wendung «Prost Mahlzeit» im Drama «Wallensteins Lager» (1798).
«Grußformeln sind ein interessantes Thema weil sie irgendwie jeden im Alltag angehen und ein Basiskommunikationsmittel sind», sagt der Sprachwissenschaftler Manfred Glauninger von der Universität Wien. «Wie alles in der Sprache unterliegen sie steter Veränderung – und auch durch das Internet und die sozialen Medien erleben wir einen noch schnelleren Wandel von Sprache, Gesellschaft und Konventionen.»
Bei «Mahlzeit» handle es sich um eine Grußformel, die in Deutschland ursprünglich eher in katholisch geprägten Gebieten üblich gewesen sei, sagt Glauninger, der auch an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften forscht. Es habe sich ursprünglich – wie bei «Grüß Gott» – um eine Segensformel gehandelt.
Stirbt «Mahlzeit!» also womöglich aus, weil viele Menschen heutzutage keinen Gottesbezug in ihrem Sprachalltag wollen?
«Ich glaub, diese Konnotation und Begleitvorstellung mit dem Religiösen spielt keine Rolle beim Verschwinden. Dass “Mahlzeit” mal eine Art Segensformel war, das ist ja kaum bekannt», sagt der Linguist. «Der Rückgang des Grußes hat vielleicht eher damit zu tun, dass sich die Verhaltensnormen der regelmäßigen Mahlzeiten ein bisschen verändert haben. Frühstück, Mittagessen, Abendessen – so geregelt läuft das für viele Menschen ja gar nicht mehr ab.»
Glauninger betont, dass Grußformeln eine starke soziale Komponente haben und auch Hierarchien ausdrückten. «Früher galt “Hallo” und erst recht “Hi” als unhöflich, heute ist es etabliert. Auch im beruflichen Kontext ist “Hallo” beliebt. Es unterscheidet nicht zwischen Siezen und Duzen, geht aber auch nicht so sehr auf eine persönliche Ebene wie “Mahlzeit”, das mit dem Bezug zum Essen intimer wirken kann.»
In der Zeit der nationalsozialistischen Terrorherrschaft hatte «Mahlzeit» manchmal sogar etwas von Widerstand. So gibt es Berichte, dass «Mahlzeit» damals für manche eine willkommene Alternative war, um den Hitlergruß zu umgehen, wie Glauninger sagt. Viele Nazis akzeptierten wohl, dass der sogenannte Deutsche Gruß dem sozusagen noch deutscheren Gruß «Mahlzeit» unterliegen dürfe.
Besonders verbreitet war der Gruß aber wohl in den 60er und 70er Jahren, sonst hätte der Sketch «Mittagspause» in der Fernsehserie «Fast wia im richtigen Leben» mit Gerhard Polt und Gisela Schneeberger kaum funktioniert. Innerhalb von anderthalb Minuten fällt das Wort in dem Sketch von 1979 etwa 50 mal in der Kantine – vor der Thekenauslage mit Filet-Töpfchen Sanremo und Rostbraten Strindberg. Bis ein Kollege plötzlich nicht «Mahlzeit», sondern «Guten Appetit» sagt. «Wer isn das?» – «Mei, irgendein Neuer.»
Der «Duden» führt den Begriff «Mahlzeit». Die Herkunft geht demnach zurück aufs spätmittelhochdeutsche «m?lz?t» (festgesetzte Zeit eines Mahls). Neben den Bedeutungen als regelmäßiges Essen aus kalten oder warmen Speisen und der gemeinschaftlichen Einnahme davon, handle es sich auch um einen «Gruß in der Mittagszeit, besonders zwischen Arbeitskolleg[inn]en» sowie um eine Redensart für «Das ist ja eine schöne Bescherung!; das kann ja heiter werden!».