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Südtirol: Erst Luxus am Gletscher, dann auf den Spuren von Ötzi

Das Schutzhaus Schöne Aussicht kombiniert Wellness und gute Küche mit einer Lage in luftiger Höhe. Es ist ein wunderbares Basislager für schneesichere Pisten und eine besondere Skitour.

Die Kälte sticht nicht sofort zu, wenn man in 2840 Metern Höhe aus dem Saunafass tritt. Mit einem Tuch um die Lenden steht man im Schnee, blinzelt in die Sonne, die knapp über den Gipfeln des Saldurkamms steht – und grüßt die drei Tourengeher, die gerade nackt in einen dampfenden Holzzuber steigen.

Auf der Terrasse daneben trinken die Gäste Weißbier oder Spritz und wirken genauso wenig irritiert wie die Skifahrer, die vor der Berghütte aus den Bindungen steigen. Denn dafür ist das Schutzhaus Schöne Aussicht, das Rifugio Bella Vista, in den Ötztaler Alpen berühmt: Wellness im Hochgebirge. Und für das hervorragende Essen. Und seinen umtriebigen Wirt.

Der Eingeborene und die Filmcrews

Paul Grüner ist fast zwei Meter groß und von Bärenstatur; mit Sonnenbrille und Wollmütze, Daunenjacke und Weste über dem hellblauen Hemd schlurft er über die Terrasse, grüßt hier und da Stammgäste, verabschiedet herzlich eine Gruppe angedüdelter Südtiroler.

«Ich bin ein Eingeborener», sagt Grüner, aufgewachsen in Karthaus unten im Schnalstal, wo er auch das Hotel Goldene Rose führt. Nebenbei bekocht er mit seiner Firma «Ö wie Knödel» Filmcrews, die gerne in dem abgelegenen Seitental des Vinschgau drehen. Eine eigene Kosmetiklinie hat er auch.

Hüttenwirt Grüner ist geschäftstüchtig. Als er 2001 das erste Saunafass aus Lappland per Helikopter zur Hütte fliegen ließ, war das eine Sensation. Nach nur zwei Jahren brannte das Fass ab, doch Grüner ließ es vom Tischler originalgetreu nachbauen. Daneben setzte er gleich ein zweites – und einen Jacuzzi. Denn Sauna allein bieten mittlerweile auch andere Berghütten.

Schaumwein und mehrgängiges Dinner

Natürlich gefallen solche Innovationen nicht jedem. «Ich mag es nicht, wenn auf der Schutzhütte halbnackte Leute rumlaufen», sagt ein einheimischer Bergführer. Auch die Schneekübel voller Schaumweinflaschen entsprechen nicht exakt karger Alpinisten-Orthodoxie, ebenso wie der voll verspiegelte Schuppen für Motorschlitten oder das leuchtende Draht-Rentier.

Zumindest am mehrgängigen Dinner dürften sich aber selbst Traditionalisten kaum stören. Als Vorspeise werden an diesem Abend mit Steinpilzen gefüllte Tortelloni serviert, dann ein Karotten-Ingwer-Süppchen, als Hauptgang Saltimbocca mit Bratkartoffeln und Bohnen und abschließend Crème brûlée.

«Ich habe Koch gelernt», sagt Grüner, «da hat man natürlich andere Ansprüche». Zudem hätten sich seine Gäste verändert. «Vor 20 Jahren haben viele ihren Gaskocher mitgenommen und gefragt, ob sie im Schuhraum Suppe machen dürfen. Mittlerweile schätzten es auch die jungen Tourengeher, gut zu schlafen und abends einen Wein zu trinken.»

Einseifen mit Bergblick

2006 hat Grüner deshalb die Hütte renoviert. Seitdem gibt es WLAN und heiße Duschen, beim Einseifen kann man durch die Panoramafenster in die Berge schauen. Die Zimmer aber sind rustikal geblieben, mit alten Betten und kleinen Sprossenfenstern. «Es ist schon unser Ziel, dass die alpine Atmosphäre erhalten bleibt», sagt Grüner.

Wer es exklusiver mag, bucht eines der drei Schnee-Iglus. Oder das 800 Meter entfernte frühere Zollhaus der Österreicher. «Ein Hideaway für zwei Leute, die sich mögen», sagt Grüner.

Solcherlei Luxus passt zum Zeitgeist. Seit einigen Jahren werden überall in den Alpen Schutzhütten im Hochgebirge zu Hotels ausgebaut. Den Gästen gefällt es offenbar.

Die Tischgenossin aus Elmshorn erzählt, dass sie seit 20 Jahren stets zu ihrem Geburtstag anreise und eine Woche bleibe. Das Paar am Nebentisch war sogar schon 35 Mal hier. Dabei sind sie allesamt keine Skibergsteiger – ihnen genügt das kleine Skigebiet am Schnalstaler Gletscher direkt vor der Haustür.

Entspanntes Wedeln am Gletscher und im Kiefernwald

Die Piste ist noch eisig, aber der Ausblick auf die in der Sonne glänzenden Gletscher und die Eisgipfel von Fineilspitze und Wildspitze beflügelt. Unterhalb einer gewaltigen Felswand gleitet man hinüber ins tiefer gelegene Teilgebiet Teufelsegg, wo sich die gewalzten, weißen Bänder zwischen rotbraunen Felsen hindurch winden.

Oder man biegt auf der Talabfahrt am Speicherteich rechts ab und cruist zur Lazaun-Kabinenbahn. Auf den beiden parallelen Pisten durch den Kiefernwald wird der Schnee als erstes weich. Die namensgebende Lazaun-Alm liegt inmitten eines Amphitheaters aus Felswänden, ein wunderbarer Speisesaal für Hüttenmakkaroni und Weißbier. Wenn nur das Schlagergedudel nicht wäre. Die vielen polnischen Gäste auf den Bierbänken sind zu beneiden, dass sie die Texte nicht verstehen.

Aus Polen, Italien und Deutschland reisen die meisten Gäste an, die hoch gelegene Alpin Arena Schnals lockt mit ihrer Schneesicherheit Wintersportler aus ganz Europa. Da es aber im ganzen Tal nur 1200 Betten gibt und dieses für die meisten Tagesausflügler zu abgelegen ist, steht man fast nie am Lift an – selbst in den Ferien und an Wochenenden, sagen die Stammgäste.

Ohne Schneekanonen geht es allerdings auch hier nicht mehr. Wie unermüdliche Geysire speien sie das kostbare Weiß empor. Ein Foto von 1910 zeigt, wie weit sich die Gletscher bereits zurückgezogen haben: Damals stand die Bella-Vista-Hütte noch inmitten eines Eismeers. Seitdem sind mehr als 70 Prozent der Gletscher hier geschmolzen. Die Reste werden seit einigen Jahren mit weißen Plastikplanen abgedeckt, das einst so wichtige Sommerskifahren ist passé.

Umstrittene Schauwerte

Neue Attraktionen müssen her, dachten offenbar die Betreiber der Schnalstaler Gletscherbahn. 2020 wurde eine Aussichtsplattform auf dem Gipfel der Grawand gebaut. Ihr Marketingname, Iceman Ötzi Peak, verursachte einen Aufschrei. Die Plattform «verunziert den Gipfel der Grawand», schimpfte der Südtiroler Heimatverband, sie sei «eine billige Anbiederung an Halbschuhtouristen».

Eine steile Stahltreppe führt zur Plattform in 3251 Metern Höhe, mit leerem Blick keuchen manche die Stufen empor. Die Mühe lohnt sich natürlich. Der Ausblick ist fantastisch, in Fernrohren werden die Namen der Gipfelparade ringsum angezeigt.

Auf zum Steinzeitgrab

Für den Paradegipfel schlechthin braucht niemand ein Fernglas: 3739 Meter hoch ragt die Weißkugel auf, der höchste und anspruchsvollste Gipfel in diesem Teil der Ötztaler Alpen. Und mit Abstand das begehrteste Ziel der Skitourengeher auf der Bella-Vista-Hütte.

Genau deshalb meidet Robert Ciatti die Weißkugel. «Ich geh‘ so gern allein», sagt der 69-jährige Bergführer. Auf seiner Lieblingstour kann er das regelmäßig – obwohl das Ziel alles andere als ein Geheimtipp ist: die Fundstelle des Ötzi, hoch oben am Tisenjoch.

1995 hat Ciatti die Tour zum ersten Mal geführt, im Laufe der Jahre ging er sie mit Wissenschaftlern, Reinhold Messner und dem Ehepaar Simon, den Entdeckern des Ötzi. Die Geschichte vom Steinzeit-Mord und der einmaligen Mumie fasziniert ihn bis heute.

Zur Fundstelle sind es zwar nur sechs Kilometer, «aber wir werden drei bis vier Stunden dorthin brauchen», sagt Ciatti. «Man muss hoch, runter, queren.» Mit Gegenanstiegen kämen 700 bis 800 Höhenmeter zusammen. Die dünne Höhenluft bereite vielen Gästen Probleme.

Gangeln auf der Eisrampe

Rasch verlässt Ciatti die Piste und quert unterhalb der schwarzen Wand. Durch Schneedünen, Wechten und vom Gletscher geschliffene Felsen spurt er voraus. Im Sommer gehe man hier über Geröll, sagt er. «Im Winter ist die Tour viel schöner.»

Zwischen den Felsgraten von Fineilspitze und Hauslabkogl breitet sich eine sanft ansteigende Eisrampe aus. Der Wind hat Gangeln – kleine Terrassen und Klippen – in den Schnee gefräst. Das geriffelte Weiß gleißt in der Höhensonne, Flugzeuge schneiden weiße Kondensstreifen in den tief blauen Himmel. «Das schönste Skitourengelände ist der Gletscher», sagt Ciatti, «das ist das komplette Bergerlebnis».

Zur Sicherheit müssen seine Gäste einen Anseilgurt über die Skihose ziehen, auf ein Seil aber verzichtet der Bergführer. Durch den Gletscherschwund gebe es hier auf dem Hochjochferner mittlerweile nur noch wenige Spalten, erklärt er – und die kenne er alle.

Auf uralten Hirtenpfaden

Gleichmäßig wie ein Metronom gleitet Ciatti den Gletscher hinauf, der zwischen Felskämmen zunehmend schmaler wird. Vor Jahrtausenden schon trieben Hirten ihre Schafe und Ziegen über diese, damals eisfreien Pässe, erzählt er. Gut möglich, dass auch der Ötzi eine Herde führte – und deshalb überfallen wurde.

Ein paar steile Schritte noch, dann steht Ciatti oben: auf dem Hauslabjoch in 3280 Metern Höhe, dem höchsten Punkt der Tour. Die Aussicht ist famos. Verlockend nah ragen Similaun und die Marzellspitzen auf, davor wölbt sich der Niederjochferner, in der Ferne spitzen Ortler und Brenta heraus. «Der Ötzi ist 5300 Jahre hier gelegen», sagt Ciatti, «was der für ein schönes Grab hatte.»

Tatsächlich wartet noch ein kurzer, steiler Abstieg, bis man am Türmchen aus Schieferplatten steht. In vier Sprachen verkündet es die Weltsensation. Die wahre Fundstelle, 70 Meter entfernt, markiert ein schlichter roter Punkt auf einem Felsbrocken: eine Mulde, in der sich jeden Winter metertief Schnee sammelt.

Nur sehr selten schmilzt er ganz – so wie 1991, nach einem extrem schneearmen Winter und heißen Sommer. Am 19. September kamen Erika und Helmut Simon zufällig hier vorbei. Und knipsten die Leiche mit dem letzten Foto auf ihrem Film.

Robben in der Eishöhle

Selbst wenn man all das gehört und gelesen hat, im Ötzi-Museum und im Archäopark war und vielleicht sogar den seltsamen Ötzi-Kinofilm geschaut hat – erst hier oben wird einem klar, wie absolut erstaunlich dieser Fund war.

Ciatti könnte noch lange weiter erzählen, aber die Zeit drängt. Und auf dem Rückweg will er noch etwas Besonderes zeigen.

Über einen steilen Hang kurvt man langsam talwärts, ab und an belohnt ein kleines Firnfeld für die Zitterpartie. Unter dem gewaltigen Eisbogen eines Gletschermauls stoppt Ciatti, schnallt die Ski ab – und krabbelt auf allen Vieren in den finsteren Schlund.

Zwei Mal wird es so eng, dass man auf dem Bauch robben muss, dann aber öffnet sich eine drei Meter hohe Höhle. Ihre hellblau schimmernden Wände sind glatt geschmirgelt, im klaren Eis schweben Steinchen. «Die meisten anderen Bergführer kennen diese Gletscherhöhle nicht», sagt Ciatti und strahlt. Ein Privileg, hier zu sein. Und eine gute Geschichte für später, im Saunafass.

Info-Kasten: Hütte Schöne Aussicht am Schnalstaler Gletscher

Anreise: Mit der Bahn über Bozen nach Meran. Von Dort per Bus zuerst nach Naturns und dann nach Kurzras.

Unterkunft: Die Hütte ist im Winter von Ende November bis Anfang Mai geöffnet und dann wieder ab 20. Juni bis Anfang Oktober. Es gibt 14 Doppelzimmer und Lager mit 18 Betten. Die Halbpension kostet im Doppelzimmer 90 Euro, im Lager 70 Euro.

Wintersport: Der Tagespass für die Alpin Arena Schnals Senales kostet diesen Winter 41 bis 51 Euro. (www.schnalstal.com/de/)

Skitour: Die Ötzi-Skitour wird jeden Dienstag angeboten, meist führt sie Robert Ciatti. Die gesamte Tour dauert sechs bis sieben Stunden und erfordert gute Kondition. Sie kostet 140 Euro pro Person. (www.archeoparc.it/oetzi-glacier-tour/)

Informationen: IDM Südtirol (Tel.: 0039 (0) 471 094 000, www.suedtirol.info/de)

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