Niamey/Berlin (dpa) – Mit einem Militärputsch im Niger gegen Präsident Mohamed Bazoum haben die europäischen Bemühungen um eine Stabilisierung der Sahelzone einen schweren Rückschlag erlitten. Nachdem Offiziere der Präsidentengarde den im Februar 2021 gewählten Bazoum am Vortag festgesetzt und für entmachtet erklärt hatten, stellte sich die Armee am Donnerstag auf die Seite der rebellierenden Militärs. Scharfe Kritik am Vorgehen der Putschisten war aus Washington, von der UN, der EU, der Afrikanischen Union sowie von der Bundesregierung gekommen, die noch etwa 100 Soldaten in dem westafrikanischen Land stationiert und mehrfach Angebote zu einer verstärkten Zusammenarbeit mit dem Militär gemacht hat.
Die Streitkräfte begründeten ihre Entscheidung vom Donnerstag damit, die «körperliche Unversehrtheit des Präsidenten und seiner Familie gewährleistet» sowie eine «tödliche Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Sicherheitskräften» vermeiden zu wollen, wie sie auf Facebook und Twitter mitteilten. Das Militär warnte ausländische Staaten auch davor, militärisch einzugreifen. Dies könnte verheerende Folgen für das Land haben. Unbestätigten Berichten zufolge könnte nun der Chef der Präsidentengarde, General Omar Tchiani, die Führung eines Militärrats übernehmen.
Bazoum hatte zuvor zum Erhalt der demokratischen Errungenschaften des Landes aufgerufen. «Alle Nigrer, die Demokratie und Freiheit lieben, werden dafür sorgen», schrieb Bazoum auf Twitter. EU-Ratspräsident Charles Michel teilte mit, dass er mit Bazoum gesprochen und ihm die Unterstützung der EU zugesichert habe. Die Europäische Union verurteile den Destabilisierungsversuch im Niger aufs Schärfste. UN-Generalsekretär António Guterres forderte die Freilassung von Bazoum. Die demokratische Führung des Landes dürfe nicht behindert werden und die Rechtsstaatlichkeit müsse geachtet werden, sagte Guterres am Donnerstag in New York.
«Wo Militärs mit Gewalt nach Macht greifen, schaden sie ihrem Land», schrieb Bundesaußenministerin Annalena Baerbock auf Twitter. Sie telefonierte auch mit ihrem nigrischen Amtskollegen Hassoumi Massoudou. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes hatte zuvor mitgeteilt: «Wir verurteilen den Versuch von Teilen des Militärs, die verfassungsmäßige demokratische Ordnung Nigers umzustoßen, und fordern diese auf, den demokratisch gewählten Präsidenten Bazoum unverzüglich freizulassen und in ihre Unterkünfte zurückzukehren.» Gewalt sei kein Mittel zur Durchsetzung politischer oder persönlicher Interessen. Auch die USA und die westafrikanische Staatengemeinschaft Ecowas forderten eine Freilassung Bazoums und die Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung.
Nach Militärputschen in Mali und Burkina Faso seit 2020 war der Niger das letzte der drei Nachbarländer in der Sahelzone, das von einer demokratisch gewählten Regierung geführt wurde. Erst Ende 2022 hatte die EU eine Militärmission im Niger beschlossen, um den Terrorismus in der Region zu bekämpfen. Die EU will vorerst noch keine Entscheidung über ein mögliches Ende der Militärunterstützung treffen. Die Situation nach der Meuterei sei derzeit noch nicht klar, sagte eine Sprecherin des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell am Donnerstag in Brüssel.
Die Bundeswehr stellt für diese auf drei Jahre angelegte EU-Mission bisher nur einige wenige Soldaten, die in der Hauptstadt Niamey sind. Die Bundeswehr unterhält dort einen Lufttransportstützpunkt für das militärische Engagement in Westafrika, auf dem rund 100 deutsche Soldaten arbeiten. Kampfschwimmer der Deutschen Marine waren in den vergangenen Jahren an der Ausbildung nigrischer Spezialkräfte im Grenzgebiet zu Mali beteiligt. Das Programm galt als Vorzeigeobjekt.
Die jetzt in dem Land stationierten deutschen Soldaten waren nach Angaben der Bundeswehr in Sicherheit und auf dem Lufttransportstützpunkt, wo auch andere westliche Staaten Militär haben. Nach dpa-Informationen wurde auch deutsches Botschaftspersonal auf dem Gelände in Sicherheit gebracht. Der letzte Versorgungsflug der Bundeswehr nach Niamey war am Vortag gelandet. Auf dem Flugplatz steht auch noch ein deutscher Transporter vom Typ A 400 M.
Wegen des Putsches sperrten die nigrischen Behörden den Luftraum, was auch die Flüge der Bundeswehr nach Niamey betraf. In einem Hinweis an die Luftfahrt («notice to airmen») wurden Landungen auf dem Flughafen bis zum 4. August für alle Flüge untersagt. Der Lufttransportstützpunkt in Niamey ist auch Drehkreuz für den laufenden Abzug der Bundeswehr aus dem benachbarten Mali.
Der Niger ist in den vergangenen Jahren in den Mittelpunkt der westlichen Bemühungen gerückt, dem gewaltsamen Vormarsch der Dschihadisten in Westafrika und auch einem wachsenden militärischen Einfluss von Russland entgegenzuwirken. Die Putsche in Mali und Burkina Faso gingen mit einer Abwendung von europäischen Partnern und zuletzt der Forderung nach Abzug der UN-Friedensmission zur Stabilisierung Malis einher. Das Dreiländereck wird seit Jahren von Gruppen terrorisiert, die den Terrormilizen Al-Kaida und IS anhängen. Die Sicherheitslage verschlimmert sich zunehmend und bedroht auch bislang stabile angrenzende Staaten.
Für die EU ist die Lage im Niger auch bedeutend, weil es eines der wichtigsten Transitländer für afrikanische Migranten ist, die die Küsten des Mittelmeeres erreichen und von dort aus nach Europa übersetzen wollen. Deshalb hatten die EU und Niger bereits im vergangenen Sommer vereinbart, beim Thema Menschenschmuggel enger zusammenzuarbeiten.
Der Niger gehört mit seinen rund 26 Millionen Einwohnern zu den ärmsten Ländern der Welt. Bazoums Amtseinführung im April 2021 war der erste friedliche demokratische Machtwechsel im Land seit seiner Unabhängigkeit von Frankreich 1960 – wenige Tage vorher kam es noch zu einem Putschversuch, den die Präsidentengarde verhinderte. Bazoum diente unter seinem Vorgänger Mahamadou Issoufou seit 2011 als Außen- und Innenminister, bis er zur Nachfolge des nach zwei Amtszeiten ausgeschiedenen Issoufou antrat und mit rund 56 Prozent der Stimmen gewann. Issoufou behielt viel Einfluss. Beobachter vermuteten als möglichen Hintergrund auch einen Kampf um Einfluss in Niamey.