Niamey/Paris/Abuja (dpa) – Die westafrikanische Staatengemeinschaft Ecowas hat den neuen Militärmachthabern im Niger mit schweren Sanktionen und Gewalt gedroht. Ecowas forderte bei einer Dringlichkeitssitzung am Sonntag zudem die sofortige Freilassung und Wiedereinsetzung von Präsident Mohamed Bazoum, der am Mittwoch bei einem Putsch festgesetzt worden war, sowie die vollständige Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung im Niger. Wenn dies nicht innerhalb einer Woche passiere, werde Ecowas Maßnahmen ergreifen, die auch den Einsatz von Gewalt beinhalten könnten, teilte die Staatengemeinschaft am Ende des Gipfels in der nigerianischen Hauptstadt Abuja mit.
Ecowas drohte zudem die juristische Verfolgung der Militärjunta an. Handels- und Finanztransaktionen zwischen Ecowas-Mitgliedstaaten und dem Niger würden ausgesetzt, hieß es, Luft- und Landesgrenzen geschlossen. Ecowas forderte die Zentralbanken ihrer Mitgliedsstaaten auf, die Vermögenswerte nigrischer staatlicher und halbstaatlicher Unternehmen sowie der am Putsch beteiligten Militärs einzufrieren. Außerdem würden alle finanziellen Unterstützungen und Transaktionen mit nigrischen Finanzinstituten suspendiert. Ecowas werde umgehend einen Sonderbeauftragten ernennen und in den Niger entsenden, um die Forderungen an die Militärjunta zu überbringen.
Am Mittwoch hatten Offiziere von General Omar Tchianis Eliteeinheit den demokratisch gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum festgesetzt und für entmachtet erklärt. Tchiani hat sich am Freitag selbst zum neuen Machthaber ernannt. Kurz nach Tchianis Machtübernahme als De-facto-Präsident setzten die Putschisten die Verfassung des westafrikanischen Landes außer Kraft und lösten alle verfassungsmäßigen Institutionen auf.
Während des Ecowas-Gipfels demonstrierten in Nigers Hauptstadt Niamey Tausende Menschen für die neuen Militärmachthaber. Zahlreiche Menschen schwenkten dabei auch russische Fahnen. Französischen Medienberichten zufolge artete ein Protest vor der französischen Botschaft in Niamey in Gewalt aus. Die Demonstrationen sollten als Warnung an die ehemalige Kolonialmacht Frankreich und die westafrikanische Staatengemeinschaft Ecowas gelten, die den Putsch der Militärs scharf kritisiert hatten, berichtete ein Reporter der Deutschen Presse-Agentur vor Ort.
Einige Demonstranten seien gewalttätig gewesen, schrieb die französische Nachrichtenagentur AFP am Sonntag auf Twitter. Sie hätten die Plakette der französischen Botschaft in Niamey abgerissen, sie mit Füßen getreten und durch russische und nigrische Flaggen ersetzt. Nach Militärputschen in den Nachbarländern Mali und Burkina Faso hatten sich die neuen Machthaber dort ebenfalls Richtung Russland orientiert.
Vom Élyséepalast hieß es, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron toleriere keinen Angriff auf Frankreich und seine Interessen. Frankreich werde auf jeden Angriff auf seine Staatsbürger, Diplomaten und Einrichtungen sofort und unnachgiebig antworten. Das französische Außenministerium teilte mit, Paris fordere die nigrischen Kräfte auf, ihrer Verantwortung nachzukommen, die Sicherheit der französischen diplomatischen und konsularischen Vertretungen im Land zu gewährleisten.
Nach einer Sitzung des nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats hatte die ehemalige Kolonialmacht Frankreich am Samstag mitgeteilt, ihre Budgethilfe und Entwicklungshilfe an den Niger auszusetzen. Für Frankreich war der Niger zuletzt ein wichtiger Partner in seinem Anti-Terror-Kampf in der Sahelzone, nachdem die Militärmachthaber in Mali und Burkina Faso den Abzug französischer Truppen gefordert hatten.
Die Sahel-Zone zieht sich vom Senegal im Westen bis nach Dschibuti im Osten. Sie leidet seit Jahren unter einer sich ständig verschlechternden Sicherheitslage. Viele Milizen, die zum Teil dem Islamischen Staat (IS) oder dem Terrornetzwerk Al-Kaida ihre Treue geschworen haben, verüben regelmäßig Anschläge.
Der Putsch könnte außerdem schwerwiegende Folgen für die Strategie Europas zur Eindämmung der Migration über das Mittelmeer haben, sagte der Regionalbüroleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung für die Sahelzone, Ulf Laessing, der Deutschen Presse-Agentur am Sonntag. «Ohne den Niger wird die Strategie … zusammenbrechen», sagte er. Vorherige Vereinbarungen seien weitgehend wirkungslos, wenn die neue Militärjunta im Niger die Kooperation nicht fortsetze.
Der Niger ist eins der wichtigsten Transitländer für afrikanische Migranten, die sich auf den Weg in Richtung Europa machen. Seit seinem Amtsantritt im April 2021 war Bazoum ein wichtiger Verbündeter der EU. Die EU kooperiert mit dem Niger bereits seit 2015, vor allem um die kritische Migrationsroute von der nigrischen Wüstenstadt Agadez nach Libyen zu blockieren.
Die nigrische Polizei wurde mithilfe der zivilen Aufbaumission EUCAP Sahel Niger besser ausgebildet. Zudem verabschiedete der Niger ein Gesetz, das den Schmuggel von Migranten von Agadez durch den Sahel bis zur Grenze mit Libyen unter Strafe stellt. Seitdem seien die Migrantenzahlen Richtung Libyen zurückgegangen, sagte Laessing.
Auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell gab bekannt, dass die EU ihre Budgethilfe für den Niger sofort einstelle und alle Maßnahmen der Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich auf unbestimmte Zeit aussetze. Allein für den Zeitraum von 2021 bis 2024 waren über ein Mehrjahresprogramm Unterstützungszahlungen in Höhe von mindestens 503 Millionen Euro vorgesehen. Wie viel davon schon abgeflossen ist, war zunächst unklar.
Ob die Maßnahmen der EU Wirkung zeigen werden, sei zweifelhaft, sagte Laessing. «In Wahrheit sind die Europäer in einer eher schwachen Position. Sollte die Migrationsroute von den neuen Machthabern wieder geöffnet werden, wird Europa (mit den Putschisten) verhandeln müssen», sagte Laessing.