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Praktische Folgen des Brexits

Die EU bestimmt die Zusammenarbeit von 28 Staaten. Die Briten wollen künftig ihr eigenes Ding machen. Doch was heißt es, wenn einer aus dem Boot aussteigt?

London/Brüssel (dpa) – Am Anfang schien alles eindeutig. Die Briten wollen raus aus der Europäischen Union? Dann bringen wir es so schnell wie möglich hinter uns, schallte es im Juni 2016 aus Brüssel nach London. Aber mehr als halbes Jahr danach ist offiziell noch nichts passiert. Am Dienstag will Premierministerin Theresa May genauer sagen, wie sie sich den Brexit vorstellt. Was kommt da auf die Europäer dies- und jenseits des Ärmelkanals zu? Letztlich wird das wohl erst in den zweijährigen Verhandlungen ab Frühjahr geklärt. Aber sicher ist: Diese Scheidung berührt fast jeden in Europa.

1. Dürfen Deutsche auch künftig in Großbritannien arbeiten?

Der nach den EU-Regeln erlaubte freie Zuzug aus allen Ländern der Gemeinschaft war für viele Briten der Hauptgrund, für den Brexit zu stimmen. Ihre Regierung will dem deshalb nun ein Ende setzen. Die übrigen 27 EU-Länder halten dagegen, das Prinzip gehöre untrennbar zum Binnenmarkt. Wenn Großbritannien davon abrücke, könne es auch die anderen Vorteile des gemeinsamen Markts vergessen, etwa freien Export von Waren und Dienstleistungen. Regierungschefin May scheint bereit, das in Kauf zu nehmen. Wer künftig unter welchen Bedingungen zum Arbeiten auf die Insel kommen darf, würde dann London bestimmen – oder es müssten neue Regeln mit der EU vereinbart werden.

2. Werden EU-Bürger aus Großbritannien ausgewiesen?

2015 lebten nach Angaben der Statistikbehörde Eurostat 2,99 Millionen EU-Bürger im Vereinigten Königreich, darunter 870 000 Polen. Eine Ausweisung ist nach einer Analyse des britischen Oberhauses schon wegen der Europäischen Menschenrechtskonvention ausgeschlossen, das gilt umgekehrt auch für die mehr als eine Million Briten in anderen EU-Ländern, darunter knapp 300 000 im sonnigen Spanien. Trotzdem haben die mehr als vier Millionen Menschen Angst, was aus ihnen wird. Das Sicherheitsgefühl aller EU-Ausländer in Großbritannien sei erschüttert, sagt Karolina Boronska-Hryniewiecka vom Polnischen Institut für Internationale Beziehungen. Viele bemühen sich jetzt um eine neue Staatsbürgerschaft. Die EU will die künftigen Rechte – Aufenthalt, Arbeitserlaubnis, Besitzrechte an Immobilien und vieles mehr – bei den Brexit-Verhandlungen möglichst rasch klären.

3. Kann man als Deutscher nach dem Brexit in London studieren?

Forscher und Studenten könnten unter dem Brexit stark leiden. Fast jeder siebte Beschäftigte im Wissenschaftsbetrieb in Großbritannien stammt aus dem EU-Ausland. Studenten dürfen mit dem «Erasmus+»-Programm ohne Studiengebühren an britische Hochschulen, was 2015 nach Angaben des Akademischen Austauschdiensts allein rund 5000 Deutsche nutzten. Auch Briten studieren mit dem Programm in Deutschland. Nach dem Brexit könnte das anders werden. Es ließe sich aber auch aushandeln, dass Großbritannien Teil von Erasmus bleibt.

4. Müssen deutsche Steuerzahler bald mehr für Brüssel zahlen?

Eines der dicksten Bretter bei den anstehenden Brexit-Verhandlungen ist die Trennung der EU-Finanzen. Großbritannien ist nach Deutschland der größte Nettozahler der Gemeinschaft: 2015 überwies das Königreich 11,5 Milliarden Euro mehr in die EU-Töpfe, als es herausbekam. Für die Bundesrepublik waren es 14,3 Milliarden Euro. Fällt der britische Beitrag weg, muss das benötigte Geld anders aufgebracht werden – vermutlich zum Teil vom bevölkerungsreichsten und wirtschaftsstärksten Mitgliedsland Deutschland.

5. Machen Zölle saure Drops bald unerschwinglich?

Die EU ist auch eine Zollunion: In der Gemeinschaft fallen keine Zölle an und gegenüber anderen Weltregionen legt sie die Einfuhrabgaben gemeinsam fest. Die britische Regierung hat aber angedeutet, dass sie die Handelsbeziehungen mit Dritten – vor allem mit den Wirtschaftsriesen USA oder China – selbst regeln will. Dazu müsste sie raus aus der Zollunion, und Zölle mit EU-Ländern wären wieder denkbar. Das könnte britische Waren auf dem Kontinent teurer machen – und umgekehrt. Auch hier gilt: Verhandlungslösung möglich.

6. Müssen Arbeiter bei Daimler um ihren Job bangen?

Deutschland hat zuletzt Waren für fast 89 Milliarden Euro nach Großbritannien exportiert und für 38 Milliarden Euro von dort importiert. Beim Im- und Export stehen Autos und Fahrzeugteile ganz oben. Jede zweite Neuzulassung in Großbritannien war 2015 ein Auto deutscher Marken. Der Verband der Automobilindustrie warnt deshalb vor einem Abschied Großbritanniens aus dem Binnenmarkt. Andererseits: Eine Umfrage des Instituts der Deutschen Wirtschaft unter 2900 deutschen Firmen zeigt erstaunliche Gelassenheit mit Blick auf den Brexit. Neun von zehn Unternehmen sehen keine gravierenden Folgen.

7. Können Deutsche bald billiger Urlaub machen?

Das schwächelnde Pfund macht Reisen in Großbritannien billiger als früher. Der Branchenverband British Hospitality Association gibt sich angesichts der zahlreichen ausländischen Touristen im Land zuversichtlich. Falls die Briten künftig genauer aufs Geld schauen müssen, verbringen viele möglicherweise ihren Urlaub lieber in der Heimat. Das würde nach Einschätzung von Reiseveranstaltern vor allem die Branche auf den Balearen und Kanaren, in Griechenland, der Türkei und der Karibik zu spüren bekommen. Denn dorthin fliegen die Briten bisher am liebsten. Im Umkehrschluss heißt das möglicherweise günstigere Angebote für alle anderen Urlauber.

8. Werden Häuser im Taunus noch teurer?

Die britische Finanzwirtschaft warb vor dem Brexit-Votum dringend für einen Verbleib in der EU und fürchtet jetzt um den ungehinderten Zugang für ihre Dienstleistungen auf dem Kontinent. Deshalb wird über einen Abzug von Finanzdienstleistern etwa nach Frankfurt spekuliert. «Mainhattan» würde wirtschaftlich profitieren, doch würde sich die Metropole auch verändern. Der Zuzug von Spitzenverdienern könnte zum Beispiel bedeuten, dass Verkäufer und Vermieter von Häusern und Wohnungen noch mehr verlangen können.

9. Wird Fisch auf deutschen Tellern knapp?

Der Deutsche Hochseefischerei-Verband fürchtet «fatale Folgen», wenn Großbritannien nach dem Brexit den EU-Staaten die Einfahrt in seine 200-Seemeilen-Zone verwehrt. Dort werden 100 Prozent der deutschen Heringsquote für die Nordsee – insgesamt 55 000 Tonnen – gefangen, zudem ein erheblicher Teil Makrele und Blauer Wittling. Fehlt die Menge, könnte deutscher Fisch für Verbraucher teurer werden. Der Verband hofft auf Vereinbarungen wie mit Norwegen: Wenn deutsche Fischer in norwegischen Gewässern fangen, dürfen ihre norwegischen Kollegen entsprechend in deutschen Gewässern Netze auswerfen.

10. Kann man sich Telefonieren beim London-Trip noch leisten?

Die EU hat in den vergangenen Jahrzehnten Tausende von einheitlichen Regeln eingeführt, viele zum Verbraucherschutz. Vorgaben für Geräte und Lampen sollen Energie sparen helfen, Grenzwerte für Gifte und Chemikalien Krebs bremsen, die Senkung von Roaming-Gebühren soll Reisenden sorgenfreies Telefonieren und Surfen im EU-Ausland ermöglichen. Schafft Großbritannien die EU-Standards ab und macht eigene? Auch das ist ein Riesenthema beim Feilschen um den Brexit.

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