Berlin/Zürich (dpa/tmn) – Was kochen wir heute? Wer geht zum Elternabend? Wann erledigen wir die Steuer? Und wohin geht der nächste Urlaub? Die Organisation des Familienlebens bringt viele Aufgaben mit sich – und viel Denkarbeit, damit der Alltag für alle funktioniert. «Dazu gehören auch die vielen emotionalen Aufgaben», sagt die Psychologin Filomena Sabatella. Zum Beispiel das Nachfragen in der Familie: Wie war es in der Schule? Wie war dein Arbeitstag? Die Expertin forscht an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften zu Mental Load.
In Deutschland gilt die Buchautorin Patricia Cammarata als Expertin auf dem Gebiet. Die Psychologin bezeichnet Mental Load als «unsichtbaren Teil der Sorge- und Erwerbsarbeit». Es sei die geistige und emotionale Last, die meist eine Person für alle Beteiligten trägt und sich kümmert. «Dazu gehören viele Aufgaben, die wenig wertgeschätzt und als selbstverständlich hingenommen werden», sagt sie.
Frauen sind öfter betroffen als Männer. Vor allem, wenn sie Kinder haben und in Teilzeit arbeiten. Das zeigte zuletzt eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung in 2023.
Wie entkommt man der Last, bevor es zu spät ist und die Verantwortungslast in eine Überlastung geht und zu Burn-out oder anderen massiven Beschwerden führt?
Hinweise auf mentale Anspannung erkennen
Der erste Schritt zur Vorbeugung besteht darin, die Belastung wahrzunehmen. «Wenn es zu viel wird, fühlt man sich von den Aufgaben überwältigt. Man hat das Gefühl, ich komme nicht mehr mit», sagt Filomena Sabatella. Die Gedanken kreisen ständig um To-do-Listen und Verpflichtungen. Laut Patricia Cammarata sind auch hier beim Erkennen Partner in der Pflicht: «Sie können und sollen das wahrnehmen. Denn wer im Gedankenkarussell gefangen ist, kann sich nicht mehr entspannen.»
Schlafstörungen und nächtliches Grübeln sind häufige Symptome einer Überlastung. Eine Wesensveränderung kann ebenfalls ein Zeichen sein. «Wenn Dinge, die schiefgehen, nicht mehr mit Leichtigkeit gesehen werden und die humorvolle Perspektive fehlt, ist das ein Zeichen von Überforderung», erklärt sie.
Erste-Hilfe-Maßnahmen bei Mental Load
Wie bei so vielen Dingen im Leben ist es besser, die Situation nicht allein lösen zu wollen. Also zunächst die Familie einbeziehen. «Die Überlastung sollte angesprochen und geteilt werden», sagt die Schweizer Psychologin Sabatella. Also:
1. Aufgaben umverteilen
Wer etwas abgibt, hat weniger Gedanken im Kopf. Deshalb: Wo immer es geht, Aufgaben abgeben – an den Partner, an die Kinder, empfiehlt sie. Wichtige Voraussetzung dafür: Loslassen können. «Man sollte sich nicht mehr um den Output kümmern, also darum, wann und wie die Dinge erledigt werden», sagt sie.
Autorin Cammarata erklärt, dass Frauen lernen müssen, ihr Verhalten anzupassen. «Sie haben eine Kompetenz entwickelt, wie Dinge funktionieren. Wenn sie Aufgaben abgeben, sollten die Eckpfeiler klar besprochen sein. Danach brauchen sie die Verlässlichkeit, dass der Partner sich kümmert.» Nicht nur Aufgaben, sondern auch Verantwortung abgeben.
2. Klare Prioritäten setzen
Es gibt dringende, wichtige und weniger wichtige Aufgaben. Hier gilt es zu unterscheiden und Prioritäten zu setzen. Nicht alles muss sofort erledigt werden.
Sabatella empfiehlt, aufzuschreiben, was ansteht. «Davon wählt man drei Dinge aus, die man heute erledigen möchte», sagt sie. Den Rest verschiebt man oder fragt sich: «Muss ich das wirklich machen? Oder reicht es, einen Kuchen zu kaufen, statt ihn selbst zu backen?»
Die To-do-Liste kann man auch mit dem Partner durchgehen. «Am besten gemeinsam festlegen, welche Dinge wer übernimmt oder auch nicht mehr macht», sagt Cammarata. Wichtig sei dann auch, rückblickend zu schauen, wie die Woche gelaufen ist. Dann kann man den Plan anpassen.
3. Regelmäßige Pausen einplanen
Mental Load führt oft dazu, dass die eigenen Bedürfnisse vernachlässigt werden. Sabatella rät deshalb, sich regelmäßig etwas Gutes zu tun. Das kann ein kurzer Spaziergang sein oder sich 15 Minuten hinsetzen und in die Kaffeetasse schauen – was individuell halt guttut. Jede Pause entlastet den Kopf.
Auch Freizeit sollte man regelmäßig genießen. «In den eigenen vier Wänden fällt es schwer, abzuschalten und sich zu erholen», sagt Cammarata. Besser sei es, die Wohnung zu verlassen. «Ein Freizeitblocker im Kalender kann dabei helfen.»
4. Öfter mal Nein sagen
Jeder kann Nein sagen und sollte es auch hin und wieder tun. Denn Grenzen zu setzen, entlastet und ist gesund. Wem es schwerfällt, sollte seine Angst hinterfragen. «Man sollte herausfinden, was die Angst ist und sich fragen, ob das, was man befürchtet, auch wirklich eintritt und wenn ja, was dann?», so Sabatella.
In den meisten Fällen geht die Welt nicht unter. Stattdessen überwiegen die Vorteile: mehr Zeit und weniger Aufgaben. Und auch mit einem eventuell schlechten Gewissen kann man mit der Zeit lernen umzugehen», sagt sie. Es lohnt sich also.
5. Planen und Routinen schaffen
Routinierte Abläufe und Rituale helfen, weniger nachdenken zu müssen. Zum Beispiel beim Essen: Montags gibt es immer Nudeln, dienstags Suppe, mittwochs ein Kartoffelgericht. Dienstag und Mittwoch holt der Vater das Kind vom Kindergarten ab. «Damit das auf Dauer funktioniert, sollten sich die Paare wöchentlich absprechen», sagt Cammarata.
Veränderung geht nicht von heute auf morgen. «Wichtig ist, dass man dranbleibt und Dinge ausprobiert, die entlasten», so Sabatella. So entwickele man schrittweise eine Haltung zu den Aufgaben.
Beraten und helfen lassen
Wenn die Überlastung aber anhält und erste Anzeichen psychischer Probleme auftreten, ist professionelle Hilfe gefragt. Wenn Ihnen alles über den Kopf wächst und Sie sich professionelle Hilfe wünschen, kann auch eine Elternberatungsstelle unterstützen, die man oft auf Webseiten von Stadt oder Gemeinde findet. Einen Termin für ein Erstgespräch bei einem kassenzugelassenen Psychotherapeuten in der Nähe erhalten Sie unter der Telefonnummer 116 117 oder online: https://www.116117-termine.de/.
Und ein Beispiel für Selbsthilfe: Gemeinsam mit ihrer Kollegin hat Sabatella ein Kartenset entworfen, mit dem auch Betroffene Mental Load erkennen und reduzieren können. Die Karten stellen einerseits Belastungssituationen dar, andererseits aber auch Ressourcen und Strategien zur Bewältigung.