Antalya (dpa/tmn) – Man sollte der Versuchung widerstehen, ständig stehen zu bleiben, um ein Foto zu machen. Denn auf dem Lykischen Weg übertrifft gefühlt jeder Panoramablick den vorherigen. «Wartet lieber, bis ihr ganz oben seid», sagt Çi?dem Gündo?an.
Seit Jahren erkundet sie Stück für Stück den einstigen Handelspfad der Antike und taucht dabei immer tiefer in die Geschichte und die Mythen ein, die ihn umranken.
Der Lykische Weg wurde 1999 als erster Fernwanderweg der Türkei eingeweiht und gilt heute als einer der schönsten Welt. Mit einer Länge von mehr als 500 Kilometern führt er in 26 Etappen auf der Teke-Halbinsel von Fethiye bis nach Antalya.
Fast jeder Wegabschnitt hat Highlights. Mal sind es die hohen Felsengräber von Myra, mal die gut erhaltene Ruinenstadt Patara oder die antike lykische Hauptstadt Xanthos, ein Unesco-Weltkulturerbe. «Hier atmet man Geschichte auf Schritt und Tritt», sagt Çi?dem.
Der Weg ist nach Lykien benannt. So hieß diese Landschaft in der Antike. Einige der Ruinen stammen aus der Zeit um 800 vor Christus, als die Lykier schon hier lebten. Dann kamen die Perser, die Griechen und die Römer und zwischendurch immer wieder Piraten, die in den versteckten Buchten ankerten.
Granatapfelsaft beim Postkartenidyll
Ein schmaler Pfad führt hinauf zum Gelidonya-Leuchtturm. Er thront auf einer Felsklippe 227 Meter über dem Meer und ist das Wahrzeichen des Weges. Der Blick fällt von hier auf eine Kette fünf unbewohnter Inseln. Wie grüne Tupfer ragen sie aus dem Meer heraus. Es ist ein sehr bekanntes Fotomotiv, viele kommen nur deshalb hierher.
Murtaza Çam profitiert vom Ruhm des Postkartenidylls. Neben seinem Grundstück verkauft er frisch gepressten Granatapfelsaft. «Die Leute sind durstig und bekommen Stielaugen, wenn sie meine schönen dunkelroten Früchte sehen», sagt er und lacht.
Er hat ein halbes Dutzend Granatäpfel zum Probieren aufgeschnitten. Auch selbst getrocknete schwarze Oliven bietet er an, viele verschenkt er auch.
Schon Alexander der Gro?e war hier
Oliven-, Zitronen- und Feigenbäume, Ginsterbüsche, Pinien und Zedern sind allgegenwärtig auf dem Pfad, den die in Antalya lebende Britin Kate Clow 1999 mit ihrem Wanderführer weltberühmt machte. Und dann ist da noch dieses Licht, das die Landschaft in die schönsten Farben taucht.
Wer den ganzen Weg gehen möchte, braucht Zeit. Einen Monat mindestens. Doch man kann auch einzelne Etappen gehen.
Lykien wird mit Land des Lichts übersetzt, wobei nicht ganz klar ist, ob der Name vom lateinischen «Lux» abstammt oder ob dieser Landstrich so hei?t, weil der in der griechischen Mythologie als Lichtgott überlieferte Apollon hier geboren sein soll.
«Die Menschen hier sind stolz auf ihre Geschichte», sagt Çid?em. Schon Homer erwähnte das tapfere Volk der Lykier in seiner Ilias. Sie waren Trojas Verbündete beim Kampf gegen die Griechen.
Alexander der Gro?e verbrachte laut Chroniken einen Winter in der am Lykischen Weg gelegenen Hafenstadt Phaselis, einem wichtigen Haltepunkt an der Handelsstraße zwischen Ägypten und Rom.
Vom Amphitheater aus der hellenistischen Zeit in Phaselis hat man einen herrlichen Blick auf den lykischen Olymp, den fast 2 400 Meter hohen Tahtali Da?i. Den Griechen war eine imposante Kulisse in ihren Theatern halt immer wichtig.
Die ewigen Flammen
Der lykische Olymp, dessen Gipfel oft bis in den April hinein mit Schnee bedeckt ist, ist auch vom drei Kilometer langen Sandstrand von Çirali gut zu sehen. Für viele Wanderer ist es ein beliebtes Ziel zum Ausspannen. In diesem Badeort, reich an Ruinen, befand sich einst die antike Stadt Olympos, die der römische Historiker Cicero als Stadt der Reichtums und der Kunst beschrieb.
Heute ist Çirali ein Aushängeschild des türkischen Ökotourismus. Es dürfen keine gro?en Hotels gebaut werden, nachts wird die Beleuchtung gedimmt. Denn von Mai bis Juli kommen die Unechten Karettschildkröten (Caretta caretta) hier nachts an Land und legen Eier im Sand ab. Von Juli bis September schlüpfen sie. Daher wird der Strand über die Sommermonate hinweg geschützt.
Am östlichen Ende des Strandes führt ein Weg den Berg hinauf zu den Flammenfeldern von Chimaira, einem Spektakel, das allabendlich viele Besucher anzieht. Flammen schlagen hier aus dem felsigen Boden. Es ist ein Naturphänomen, das es schon in der Antike gab.
Früher glaubten die Menschen, dass hier Chimäre – dreiköpfige Fabelwesen – unter der Erde ihr Unwesen treiben. In Wirklichkeit handelt es sich um Methangas, das sich seinen Weg nach oben bahnt. Die ewigen Feuer wiesen schon vor 2000 Jahren Seefahrern den Weg.
Im Hinterland findet man die ursprüngliche Türkei
Sobald man sich von der Küste entfernt, ist man schnell ganz für sich, nur ganz selten trifft man andere Wanderer. Man findet dafür eine ganz ursprüngliche Türkei vor. Etwa im Bergdorf Bezirgan.
Kurz vor dem Ortseingang stehen mehrere Reihen Kornspeicher aus Zedern- und Pinienholz in Reih und Glied, sie sind bis zu 400 Jahre alt. Ihre Form inspiriert sich an den lykischen Sarkophagen und sie zählen zum kulturellen Erbe der Region.
«Das Getreide ist hier oben besser aufgehoben und vor Schädlingen sicher», sagt Davut Karadeniz. Er betreibt im Ort das urige Dervish Café. Unter einem 900 Jahre alten Ahornbaum lädt er seine Gäste gerne mal zu einer Partie Backgammon ein. Das Gastzimmer sieht aus wie eine gute Stube, der Kamin brennt, von den Wänden grü?en Familienfotos. Über dem Fernseher hängt ein riesiges Porträt von Atatürk, dem Gründer der türkischen Republik.
Ruinen auf der Wiese
Im Hinterland stö?t man immer wieder auf Ruinenfelder, die nie ausgegraben wurden. So wie in der antiken Stadt Sidyma, die heute Dodurga hei?t. Neben monumentalen Torbögen liegen hier Ruinen aus der Römerzeit einfach auf einer Wiese: Die Säulen und Kapitelle würden wohl das Herz jedes Archäologen höher schlagen lassen.
Hühner picken gleichgültig Körner im Schatten eines lykischen Hochgrabes. Bei vielen der Häuser sieht man, dass antikes Baumaterial verwendet wurde. Selbst die Moschee, die über den einstigen römischen Thermen errichtet wurde, weist auf ihrer Rückseite einen riesigen Quaderstein mit lykischer Inschrift auf.
Direkt gegenüber wohnt der Bürgermeister mit seiner Frau Bediha Mete. Bei einem Tee, zu dem sie die Sü?speise Halva und getrocknete Feigen serviert, erzählt sie vom beschaulichen Leben im Ort.
Im Garten brodelt ein Zuber mit Lorbeer- und Weinblättern. Es sind Zutaten für ein Mittel gegen Gelenkschmerzen, auf das die Bewohner von Dodurga schwören. Für wenig Geld bietet Bediha es, in kleinen Flaschen abgefüllt, zum Verkauf an.
Der Geburtsort des heiligen Nikolaus
Familie Özdo?an hat sich von der Küste zurückgezogen und ein kleines Hotel in den Bergen oberhalb des Sandstrands von Patara eröffnet. Daneben gedeihen Oliven für das eigene Öl.
Sohn Emre erzählt, wie er Teile von einer originalen lykischen Mauer in eines der Gastzimmer integrierte. Stolz zeigt er das Reisetagebuch eines Österreichers, der die Lykische Küste im Jahr 1892 mit einem Expeditionsteam besuchte und dabei zufällig das heutige Haus der Familie fotografierte.
Ein Fu?weg führt von hier zu den Ruinen von Patara, einem antiken Verkehrsknotenpunkt zwischen dem Nahen Osten und Europa. Der Ort ist auch bekannt, weil hier um 270 nach Christus der wohl berühmteste Lykier geboren wurde: Nikolaus von Myra. Die Christen huldigen seinen Todestag am 6. Dezember, die Kinder schauen dann in ihre Stiefel.
Noch heute ist Patara ein Highlight für Archäologinnen und Archäologen, der Sand gibt immer neue Schätze frei. Vor nicht allzu langer Zeit wurde ein gut erhaltener römischer Leuchtturm, den Kaiser Nero erbauen lie?, gefunden und wieder aufgerichtet. Ein Tsunami, so die Vermutung, hatte hier einst die Küste heimgesucht.
Ein Opfer der Naturgewalt wurde einige Kilometer weiter auch die Stadt Dolichiste auf der Insel Kekova. Sie wurde von einem Erdbeben zerstört. Vom Schiff aus sieht man hier die Ruinen von Häusern, einer Kirche und den Hafenmauern der versunkenen Stadt, die größtenteils unter dem türkisfarbenen Wasser liegen.
Heute leben nur ein paar Wildziegen auf dem noch aus dem Meer herausragenden Teil der Insel, die man nicht betreten darf. Vom Dorf Kaleköy auf dem Festland mit seiner mittelalterlichen Burg hat man einen schönen Blick auf das Eiland.
Leicht zu übersehende Markierungen
Der Lykische Weg wird seit Jahren von Freiwilligen gepflegt. Die rot-wei?en Markierungen sind bei den vielen Steinen, die hier liegen, leicht zu übersehen. Da kann man sich auch mal verlaufen. «In diesem Fall geht man am besten zurück an die Stelle, an der man die letzte Markierung gesehen hat», sagt Çi?dem Gündo?an.
Einen Punkt findet freilich jeder Wanderer, nämlich den Holzbogen von Ovacik. Er steht mitten in einem Pinienwald. «Likka Yolu, Lycian Way» prangt in schwarzen Lettern auf knallgelbem Untergrund.
Es ist der offizielle Startpunkt des Wegs, den man je nach Lust und Zeit drei Tage, drei Wochen oder drei Monate erkunden kann.
Info-Kasten: Lykischer Weg
Reiseziel: Über mehr als 500 Kilometer und in 26 Etappen verläuft der Fernwanderweg entlang der türkischen Südküste von Fethiye bis nach Antalya. Seinen Namen hat der Weg vom antiken Lykien.
Anreise: Mehrere Airlines bieten von verschiedenen deutschen Flughäfen Direktflüge nach Antalya an.
Beste Reisezeit: Von April bis Juni und September bis November. Im Sommer ist es sehr hei?. Es bietet sich an, schon vor der Reise Teilstrecken auszuwählen.
Literatur: «The Lycian Way» von Kate Clow (auf Englisch); in der neuen Ausgabe vom Oktober 2022 kamen 170 Kilometer neuer und alternativer Routen hinzu. (ISBN 978-6056701429)
Rother Wanderführer «Türkische Riviera: Lykische Küste von Antalya bis Fethiye. 40 Touren – mit Lykischem Weg». (ISBN 978-3763343744)
Währung: 1 Euro = 20,42 Türkische Lira (Stand: 27. Januar 2023)
Informationen: www.goturkiye.com/de