Das macht sie nicht gerade auf Anhieb sympathisch, auch wenn sie gegen ein verfettetes kirchlich-staatliches Machtsystem aufbegehrten, in deren Schatten der Heiligenschein der Puristen erst recht Leuchtkraft gewann. Mit anderen Worten, die letzten Religionsfanatiker einer Volksbewegung, die sich einmal von Köln bis Südfrankreich und Oberitalien wie ein machtvoller Strom ausgebreitet hatte, und die sich hier am Fuße der Pyrenäen in unzugänglichen Festungen auf hohen kahlen Felsen verbarrikadierten, glichen weniger dem Rum- und Frauenkenner Fidel Castro, als mehr dem verdrießlich aus tiefen Augenhöhlen und mit hohlen Wangen glotzenden Osama Bin Laden und seinen Anhängern.
Die Selbstauflösung der Menschheit
Gleich dem Höhlen predigenden und in Villen wohnenden saudischen Millionär verabscheuten die ursprünglich von bulgarischen Bogomilen beeinflussten Sittenwächter zumindest rhetorisch die päpstliche Dekadenz – sie verlangten von ihren Anhängern Fleischlosigkeit in jeder Beziehung, ja, in einer nicht mehr zu überbietenden Weltverachtung die geordnete Selbstauflösung der Menschheit durch Enthaltung, denn Sex war genauso des Teufels wie die Frucht des Liebsakts. Die Seele sei von der bösen Welt nur durch ein sündloses Leben in den Armen der katharischen Kirche zu retten, die es zwischen dem 12. und 14. Jahrhundert trotz dieser Weltentsagung zu einer ansehnlichen Hierarchie mit Bischöfen und Diakonen brachte.
Mögen die Lehren der Albigenser, wie die Katharer nach einem ihrer südfranzösischen Stützpunkte Albi auch genannt wurden, wirr wie die jeder Sekte gewesen sein, ihre systematische Vernichtung durch die christlichen Kreuzritter war dennoch kein Ruhmesblatt des Papismus. „Tötet sie alle, Gott wird die Seinen erkennen“, lautete der Schlachtruf von Abt Arnaud Amaury aus Cîteaux – später als Lohn seiner Metzelei Erzbischof und Herzog von Narbonne – mit dem ein Kreuzritterheer 1209 in Béziers 20.000 Katharer und Nicht-Katharer gleichermaßen niedermetzelte. Damit begann ein Vernichtungsfeldzug, der 20 Jahre später mit der Zerstörung des eigenständigen Languedoc endete.
Karl der Große und die listige Carcas
Historisch nicht haltbar dagegen, aber dafür um so schöner erfunden ist die Geschichte, wie die mächtigste mittelalterliche Festung Europas, das sagenhafte Carcassonne zu seinem Namen kam – bei einer Belagerung durch Karl den Großen, also etwa im Jahre 800 plus x, habe die Burgherrin, Madame Carcas dem blutrünstigen Gewaltherrscher eine gemästete Sau vorgeworfen – der Kaiser sei resigniert abgezogen, in der Meinung, dass der Proviant in der Zitadelle noch Monate reichen müsste. Die listige Carcas allerdings, die das letzte Schwein geopfert hatte, ließ die Freudenglocken läuten – oder auf gut Französisch: Carcas sonne!
Jahrhunderte später jedoch wurde die herrliche Burg von der grausamen Wirklichkeit eingeholt: Der Katharerstützpunkt musste sich wegen Wassermangels dem Kreuzfahrerheer beugen, das keine Gnade kannte und die angeblichen Ketzer auf Scheiterhaufen verbrannte.
Die mächtige Stadt aber verfiel in Bedeutungslosigkeit und erst 1844 rettete der legendäre Generalinspekteur für Geschichtsdenkmäler, Prosper Mérimée, das großartige Ensemble vor dem Verfall.
Langue d’oc – Sprache „von hier“, Sprache der Trobadoure
Es ist kein Zufall, dass wir unsere Tour de Midi nicht an der überlaufenen Côte d’Azur beginnen, nicht in der Lavendel schwangeren Provence, sondern im vergleichsweise kargen Languedoc-Roussilon – westlich der Rhône bis zu den Pyrenäen, von der der Küste zwischen Narbonne und Perpignan bis zu den Hochebenen der Cévennes, Corbières und Minervois. Diese südöstlichste Provinz des Midi definiert sich auch über die Sprache: Roussilon, Eingangstor Kataloniens, fiel erst im 17. Jahrhundert Frankreich zu, weshalb das Katalan hier noch weit verbreitet ist.
Der zweite Bestandteil des Namens beinhaltet die „Langue d’oc“, von lateinisch die „Sprache von hier“ – im Gegensatz zur „Langue d’oïl, der Sprache des französischen Nordens, manche meinen auch der Moderne. Aus der verkürzten Silbe oc – von hoc ille – leitet sich das Okzitanische ab, die Sprache der mittelalterlichen Minnesänger, die heute noch von den Alten auf ihren Bänken gesprochen wird und zunehmend auch wieder von den ganz Jungen, die es wieder in der Schule lernen.