Sellin/Berlin (dpa/mv) – Gemeinden auf der Insel Rügen haben ihre Kritik an Plänen zum Bau eines Importterminals für Flüssigerdgas (LNG) erneuert. «Wir fordern die Bundesregierung auf, die offenkundig überstürzten Pläne auszusetzen und einen breiten Dialog mit allen Interessengruppen und Experten in Gang zu bringen», hieß es am Donnerstag in einer gemeinsamen Erklärung von 34 Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern und damit fast allen auf der Insel.
«Wir, die Bürgermeister, werden mit aller Entschiedenheit und den uns zur Verfügung stehenden Mitteln gegen das Projekt an Rügens Küste vorgehen.» Zudem gaben sie den Start einer entsprechenden Petition bekannt.
Am frühen Abend stimmte die Bürgerschaft der Hansestadt Stralsund einem Dringlichkeitsantrag zu, in dem sie sich ebenfalls gegen den Bau der Gasterminals aussprechen. In dem Antrag mit dem Titel «Stopp der Naturzerstörung vor Rügen und Lubmin» wird Oberbürgermeister Alexander Badrow (CDU) aufgefordert, sich auf allen gebotenen Ebenen gegen das Projekt einzusetzen. «Die Hansestadt Stralsund ist als “Tor zur Insel Rügen” von der Intaktheit der dortigen Natur und insbesondere der Gewässer stark abhängig. Die Errichtung der LNG-Terminals beeinträchtigt durch die damit verbundenen Umwelteinwirkungen auf empfindliche Weise das ökologische Gleichgewicht in der Region», heißt es zur Begründung.
Verständnis für die Bedenken kam von der SPD-Bundestagsabgeordneten Anna Kassautzki, die seit 2021 den Wahlkreis Vorpommern-Rügen in Berlin vertritt. «Die Sorgen zu diesem Thema sind verständlicherweise groß. Der Eingriff in das empfindliche Ökosystem der Ostsee und die Lebensqualität der Insel Rügen könnten enorm sein», erklärte sie und forderte eine plausible Darlegung der Notwendigkeit des Vorhabens und die ernsthafte Prüfung aller Alternativen. «Ein solches Projekt braucht Transparenz und die Beteiligung der Akteure und Akteurinnen vor Ort», betonte Kassautzki. In einen Brief habe sie Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) aufgefordert, das Gespräch mit allen Beteiligten zu suchen. «Es kann nur mit den Menschen gelingen, nicht ohne und erst recht nicht gegen sie.»
Mitte Februar hatte der Schweriner Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD) Pläne zur Errichtung von LNG-Importanlagen vor der Insel Rügen vorgestellt. Demnach sollen etwa 4,5 bis 6,5 Kilometer vor Sellin im Südosten Rügens zwei Plattformen gebaut werden, an denen schwimmende Flüssigerdgas-Terminals (FSRU) festmachen sollen. Teil des Projekts soll eine vom Bund gecharterte FSRU sein. Umgesetzt wird das Vorhaben vom Energiekonzern RWE. Nach dem Mitte Januar offiziell eröffneten Terminal in Lubmin wäre es das zweite in Vorpommern.
Für Diskussion sorgte zuletzt die für das Projekt veranschlagte Kapazität. In einem Genehmigungsentwurf war für die Anschlussleitung von 38 Milliarden Kubikmeter Erdgas jährlich die Rede. Das überträfe andere Terminals deutlich. Das Bundeswirtschaftsministerium hatte darauf verwiesen, dass das für den Standort vorgesehene schwimmende Terminal eine deutlich geringere Kapazität habe und es sich nur um die Maximalkapazität der Anbindungsleitung handele. Außerdem befinde man sich noch mitten in der Projektplanung.
Die Gemeindevertreter sprachen hingegen vom größten LNG-Terminal-Projekt Europas sowie absehbaren Schäden für die Umwelt und forderten «mehr Haltung und Ehrlichkeit, was das Vorhaben und seine Auswirkungen auf Natur, Landschaft und Ostsee betrifft».
Gemeindevertreter der Insel hatten sich bereits zuvor mit einer Erklärung gegen das Projekt gewandt. Für Sonntag ist eine Demonstration auf der Insel geplant. Von Seiten der Schweriner Landesregierung war Skepsis gekommen, auch mit Blick auf mögliche Auswirkungen auf den Tourismus, der auf der Insel wichtig ist.