Frankfurt/Main (dpa/tmn) – Verzweifelte Angehörige, die neben toten Familienmitgliedern weinen, blutüberströmte Menschen vor zerstörten Häusern und immer wieder Szenen mit verängstigten und wütenden Männern und Frauen auf der Flucht. In den Nachrichten und vor allem den sozialen Medien kommt man kaum an Informationen und grauenvollen Bildern aus den Kriegsgebieten vorbei.
Das geht nicht spurlos an einem vorüber. «Aus psychologischer Sicht sollte man daher Pausen beim Aufnehmen von Informationen, aber erst recht von Bildern machen», rät Psychologin Nathalie Krahé vom Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) im Interview.
Frage: Wie geht man mit dem Gehörten und den belastenden Bildern um, damit man seine eigene seelische Gesundheit schützt?
Nathalie Krahé: Wenn man einen Post mit widerwärtigen und schrecklichen Bildern sieht, passiert es nicht selten, dass man weitere Informationen, Beiträge oder Posts sucht. Weil man es nicht fassen kann, ist man auf der Suche nach Bestätigung und so nach noch mehr Bildern und Informationen dazu. Dieses endlose Lesen von negativen Nachrichten nennt sich auch Doomscrolling, zusammengesetzt aus dem englischen «Verderben» oder «Untergang» («doom») und dem Verschieben auf dem Bildschirm («scrolling»).
Die Psychologin hat drei Lösungsvorschläge:
1. Mal die Bilder ausblenden
Um sich selbst zu schützen, sollte man gerade verstörende Bilder auf Social-Media-Kanälen nicht mit noch mehr Eindrücken befeuern. Denn Bilder sind noch mal ganz anders mit Emotionen verbunden als sachlichere Informationen. Wer merkt, dass ihn Bilder zu sehr aufwühlen, sucht sich da besser Medien, die das weniger blutrünstig präsentieren. Denn oft reichen einem schon die Bilder im Kopf. Da braucht es nicht noch reales Grauen.
Damit das Innenleben wieder zur Ruhe kommt, kann man auch zu Medien ohne Bilder wechseln, etwa Podcasts oder Radio.
2. Vertraute einbinden
Nehmen Sie Kontakt mit Menschen auf, denen Sie sich anvertrauen können und mit denen Sie Emotionen austauschen können. Das gibt einem die Möglichkeit, seine Verzweiflung über das Gesehene auszusprechen und zu verarbeiten. Man kann fragen: Wie gehst du damit um? Wie kommst du damit klar?
3. Motive hinterfragen
Wer auf Kanälen bestimmten Gruppen folgt, sollte sich auch immer fragen: Wer hat Interesse daran, dass bestimmte Bilder im Umlauf sind. Will ich das unterstützen? Wenn nicht, sollte man das auch nicht teilen. Das heißt aber nicht, dass man nun gar keine Informationen oder Nachrichten mehr konsumiert – diese sind schließlich wichtig für die Meinungsbildung.
Frage: Manchmal entstehen bei der Meinungsbildung aber Positionen, die unvereinbar sind. Wie gehen wir mit unterschiedlichen Sichtweisen in Partnerschaften, aber auch im Freundes-, Bekannten- oder Kollegenkreis um?
Krahé: Das kennen wir ja schon aus den schlimmsten Pandemie-Zeiten. Da wurde getestet, geimpft oder eben nicht geimpft. Doch im Unterschied zu Corona haben wir jetzt eine andere Dynamik. Es haben uns mit anderen Menschen ja schon vorher bestimmte Vorlieben und Interessen verbunden, bevor wir zu den aktuellen Kriegen eine Position entwickelt haben.
Auch da hat die Psychologin drei Lösungsansätze:
1. Gibt es nicht noch andere Themen?
So kann man auf jede Menge andere Themen ausweichen, wenn man weiß, dass man zu den aktuellen Konflikten nicht zueinanderkommt. Allerdings muss dann auch ein Gegenüber bereit sein, zu den ausweichenden Themen zu wechseln.
2. Geht es um Meinung oder darum, recht zu haben?
Das Tückische an Meinungsverschiedenheiten ist ja, dass es meist gar nicht um die Meinung geht, sondern darum, Recht zu haben. Macht man sich diesen Unterschied bewusst, öffnet das auch eine ganz andere Tür. Wie wäre es etwa, wenn man fragt: «Wie sind deine Argumente für diese Sicht? Wie bist du auf sie gekommen?» Dann kann man sich selbst fragen: «Was hat mich zu meiner Position geführt?»
Wenn sich die Meinung des Gegenüber nicht gerade durch fünf Tiktok-Videos gebildet hat, kann man ja durchaus ein paar Schritte zurückgehen und sich fragen: «Wäre ich dann auch zu dieser Meinung gekommen?»
3. Ist der Krieg der einzige Konflikt?
Es gibt aber noch einen Aspekt bei Meinungsverschiedenheiten. Oft ist es so, dass wir je nach Tagesform schon fünfmal Frust geschoben haben – sei es durch Familienstress oder Arbeitsüberlastung. Wenn es dann mit all den Emotionen noch auf das Thema Krieg kommt, fließen die Energien in den Konflikt, quasi als der eine Reiz, der noch gefehlt hat.
Frage: Wenn es dann zu heftigen Auseinandersetzungen über die Bewertung von Ukraine- oder Nahost-Krieg kommt – wie bricht man das Gespräch smart ab, damit da alle Beteiligten «fein» rauskommen?
Krahé: Es gibt dafür keine Goldene Regel. Wenn man schon fünfmal festgestellt hat, dass man nicht auf einen Nenner kommt, kann man verabreden, dass man das Thema beiseitelässt. Man könnte etwa sagen: «Ich habe meine Position, du deine. Also wie leben wir damit? Ich schlage vor, lass uns das Thema ausklammern. Da sind wohl die Emotionen mit uns durchgegangen. Lass uns alle Beleidigungen zurücknehmen.»
Und man sollte sich selbst klar machen: Wegen unterschiedlicher Positionen einen anderen für doof zu erklären, ist nicht erwachsen. Es ist das Ich-möchte-recht-haben-Ego, das verhindert, dass man unterschiedliche Positionen ertragen kann.