Das nördliche Gegenstück zu Bonifacio, das ebenfalls die Genueser zu einem mittelalterlichen Hochsicherheitstrakt ausbauten, wirkt, sieht man von den Touristengruppen ab, menschenleer und wie die Kulisse einer Kolumbus-Verfilmung – der Genuese, der Inder und Indianer verwechselte, soll hier geboren sein. Der größte Teil der knapp 3000 Einwohner tummelt sich in der lebendigen Einkaufsstraße, die parallel zum Hafen verläuft.
Existenzialistische korsische Signora
Unten am Kai reihen sich Bars und Restaurants aneinander, die sich der Reihe nach an Coolness übertreffen möchten – schlürfen wir den Café au Lait, ein verkappter Grand Crème, noch in einer mit diversen tiefgelegten, antikisierten Ledersesseln ausgestatteten Lounge, deren herausragendes Kennzeichen: eine neo-existenzialistische Chefin in den 30ern, knapp 1,80 bei 55 Kilo in schwarzen, hautengen Jeans, gleichfarbigem, jede Rundung exakt beschreibenden Rolli mit exzentrischem Silberkreuz zwischen den Brüsten – bei etwa 30 Grad eine liberalisierte Huldigung an die korsische Signora und Simone de Beauvoir zugleich.
Ihr gehorcht eine Schar junger, vor allem gleichgültig blickender Epigoninnen. Dann geht es Schlag auf Schlag: eine Bar mit feuerroten Liegesesseln, ein Restaurant durchgestylt mit Glasstühlen – womöglich mit Glasnudeln als Repas de la Maison.
Spuren der Fremdenlegion
Der Kontrast könnte kaum greller ausfallen: Hie der laut ausgestoßene dernier crie in der Unterstadt, da das Schweigen der Mauern oben hinter jahrhundertealten Steinen und die geheimnisvollen Spuren jener Legion, bei der sich seit Jahrhunderten die Geächteten und Kriminellen der Welt für ein paar Jahre unsichtbar machen wollen – kleine Schilder an verriegelten Türen, ein Hinweis auf eine Fallschirmeinheit über einem riesigen Kaktus, wohl die erste Übungseinheit.
Und wirklich, nach all der Vanitas der Head-down-Generation – ja richtig, sowohl Mme. Existentialisme als auch die jungen Damen in der Bar schafften es kaum für Sekunden, ihren Blick von den bunten iPhones loszueisen – kann man beim leicht schwindsüchtigen Gang durch die flirrende Hitze der menschenleeren Oberstadt die Sehnsucht nach Auflösung ganz gut nachvollziehen. Aber ob gerade militärischer Drill, Machismus in Reinkultur und trotz aller unfreiwilligen Multikulturalität ein kräftiger Schuss Xenophobie dazu ein gutes Mittel ist? Und seien wir ehrlich, die Nichtexistenz hat auch nicht nur Vorteile …
Stattdessen stille Einkehr in der Oratoire St. Antoine Abbé aus dem 16. Jahrhundert mit zwei sehr schönen Fresken links vom Chor. Und ein Rundblick in den barocken Zentralraum der Cathédrale St. Jean Baptiste und hoch zur kleinen Öffnung in der Kuppel. Gut, Gott ist auch hier nicht zu finden, also warten wir weiter.