Jerusalem/Gaza/Beirut (dpa) – Nach erneuten Unruhen auf dem Tempelberg in Jerusalem ist Israel am Donnerstag von mehreren Seiten mit Raketen angegriffen worden. Aus dem Libanon wurden nach Angaben der israelischen Armee Dutzende Raketen gefeuert – zum ersten Mal seit mehr als anderthalb Jahrzehnten. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kündigte am Abend eine harte Reaktion an. «Wir werden unsere Feinde treffen und sie werden den Preis für jegliche Aggression zahlen», sagte er zum Beginn einer Sitzung des Sicherheitskabinetts in Jerusalem.
Das nationale Abwehrsystem Iron Dome (Eiserner Dom) hatte zuvor von insgesamt 36 Flugkörpern 25 abgefangen, wie das Militär mitteilte. Mindestens sieben Raketen seien auf israelischem Gebiet gelandet. Der Verbleib von vier weiteren werde geprüft. Israelischen Medienberichten zufolge war dies der heftigste Beschuss aus dem Libanon seit 2006.
Die beiden Nachbarländer befinden sich offiziell im Kriegszustand. An der Grenze kommt es immer wieder zu Spannungen. Bislang bekannte sich noch keine Gruppierung zu den Angriffen. Die israelische Armee geht von einer Beteiligung der im Gazastreifen herrschenden Hamas oder der militanten Palästinenserorganisation Islamischer Dschihad aus. «Es handelt sich mit Sicherheit um palästinensisches Feuer», sagte ein Sprecher am Abend. Die libanesische Schiitenmiliz Hisbollah sei wahrscheinlich nicht direkt beteiligt gewesen. Ein Mitwirken des Irans werde geprüft.
Aus libanesischen Sicherheitskreisen hieß es, dass größtenteils sogenannte Katjuscha-Raketen abgeschossen wurden. Diese wurden auch schon zuvor von palästinensischen Gruppierungen in der Region gegen Israel verwendet.
Dem israelischen Rettungsdienst Magen David Adom zufolge wurden im Norden des Landes mindestens zwei Menschen leicht verletzt. Ein 19-Jähriger erlitt demnach eine leichte Verletzung durch einen Granatsplitter. Eine 60-Jährige verletzte sich auf dem Weg zu einem Schutzraum. Andere hätten wegen Stresssymptomen behandelt werden müssen.
UN-Mission: «Lage sehr ernst»
Libanesischen Berichten zufolge soll Israels Artillerie als Reaktion Ziele im Grenzgebiet beschossen haben. Israels Militär bestätigte dies nicht. Die UN-Friedensmission Unifil forderte beide Seiten zu Deeskalation auf. «Die Lage ist sehr ernst», hieß es von der Organisation. Die Blauhelme der Unifil überwachen seit 1978 das Grenzgebiet zwischen Israel und dem Libanon.
Auf libanesischer Seite ist dort vor allem die eng mit dem Iran verbündete Hisbollah aktiv. Die Miliz teilte mit, alle «Maßnahmen» zu unterstützen, die palästinensische Gruppen nach den Zusammenstößen mit der Polizei auf dem Tempelberg in Jerusalem ergriffen. Die Hisbollah hat auch enge Verbindungen mit der im Gazastreifen herrschenden Hamas. Auch aus dem Gazastreifen feuerten am Morgen Palästinenser mindestens fünf Raketen in Richtung Israel ab.
Die USA verurteilten den Raketenabschuss und sicherten Unterstützung zu. «Unser Engagement für die Sicherheit Israels ist eisern, und wir erkennen Israels legitimes Recht an, sich gegen alle Formen der Aggression zu verteidigen», sagte der stellvertretende Sprecher des US-Außenministeriums, Vedant Patel.
Unruhen auf dem Tempelberg
Der Eskalation vorausgegangen waren Zusammenstöße der israelischen Polizei mit Palästinensern auf dem Tempelberg (Al-Haram al-Scharif) in Jerusalem. Medienberichten zufolge setzte die Polizei zwei Nächte in Folge Schlagstöcke, Tränengas und Gummigeschosse ein, um Palästinenser aus der Al-Aksa-Moschee zu entfernen. Eine Polizeisprecherin teilte mit, Jugendlichen hätten zuvor Feuerwerkskörper und Steine auf Polizisten geworfen und versucht, sich in der Moschee zu verbarrikadieren.
Der Tempelberg steht unter muslimischer Verwaltung, während Israel für die Sicherheit zuständig ist. Nach Angaben der israelischen Polizei ist es generell verboten, sich dort nachts aufzuhalten. Viele palästinensische Gläubige sehen ihr Recht zur Religionsausübung eingeschränkt. Der Tempelberg mit dem Felsendom und der Al-Aksa-Moschee ist die drittheiligste Stätte im Islam. Er ist jedoch auch Juden heilig, weil dort früher zwei jüdische Tempel standen.
Auf dem Gelände um die Moschee kommt es immer wieder zu gewalttätigen Konfrontationen. Vor rund zwei Jahren eskalierte die Situation zu einem elftägigen Konflikt zwischen Israel und der Hamas.
Pessach, Ramadan und Ostern zur gleichen Zeit
Vor Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan vor rund zwei Wochen war eine Verschärfung der ohnehin angespannten Sicherheitslage im Land befürchtet worden. Aktuell kommen besonders viele Muslime zum Tempelberg, um während des Fastenmonats dort zu beten. Am Mittwoch begann zudem das einwöchige jüdische Pessachfest. Einer der Bräuche ist dabei eine Wallfahrt nach Jerusalem. Zudem stehen mehrere Feiern über Ostern in der Altstadt bevor.
Israel hatte 1967 das Westjordanland und Ost-Jerusalem erobert. Dort leben heute mehr als 600 000 israelische Siedler. Die Palästinenser beanspruchen die Gebiete für einen unabhängigen Staat Palästina mit dem arabisch geprägten Ostteil Jerusalems als Hauptstadt.