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Irans Sportler und ihre Rolle im Protest: «Vorreiter der Revolution»

Iraner sind sportverrückt. Für Millionen Kinder und Jugendliche sind Fußballer, Ringer oder Gewichtheber Vorbilder. Das macht die Athleten zu Meinungsführern - auch in der Protestbewegung.

Wenn Shoan Vaisi an seine Heimat Iran denkt, denkt er auch an Teamkollegen, die im Gefängnis sitzen. An Athleten, die seit Protestbeginn von der Sittenpolizei massiv bedroht werden. Und an die Mutigen unter ihnen, die «mit der Höchststrafe rechnen» und trotzdem Teil der Bewegung sind. «Wenn ich Sportler sehe, die sich kritisch äußern, geht mein Herz auf. Sportler können so viel bewirken, ihre Stimme zählt», sagte der frühere Ringer der Deutschen Presse-Agentur. Vaisi war bis zu seiner Flucht 2011 nach Deutschland Teil des iranischen Nationalteams. 

Seit dem Tod der iranischen Kurdin Mahsa Amini protestieren Tausende gegen den repressiven Kurs der Regierung und das islamische Herrschaftssystem. Die Moralpolizei hatte die 22-Jährige festgenommen, weil sie gegen die Kleidungsvorschriften verstoßen haben soll. Amini starb am 16. September in Polizeigewahrsam. Wut und Sehnsucht nach Veränderung treiben die Menschen auf die Straßen.

Unter ihnen viele Sportler. Ihre Solidarität sei «beispiellos», sagte der Politikwissenschaftler Ali Fathollah-Nejad. Es ist der Mut seiner ehemaliger Kollegen, der Vaisi Hoffnung macht. «Sie haben jahrelang für iranische Mannschaften gespielt, jahrelang iranische Familien glücklich gemacht». Der heutige Politiker der Linken glaubt, dass Sportler zu «Vorreitern der Revolution» werden können: «Zusammen mit der Jugend sind sie sowas wie Oppositionsführer».

Sportler genießen im Iran extrem hohes Ansehen. Millionen Follower in den sozialen Netzwerken machen Fußballer oder Kampfsportler zu Meinungsführern. Ihr Einfluss auf die junge Generation ist riesig. Statistiken zufolge ist jeder dritte Iraner jünger als 24. Zum Vergleich: In Deutschland sind es rund 22 Prozent.

Die politische Führung weiß um den Stellenwert der Sportler innerhalb der iranischen Gesellschaft – und unterdrückt kritische Stimmen mit allen Mitteln. «Die hochrangigen Funktionäre der Verbände sind natürlich Leute, die nicht zufällig dort sind. Kriterium bei solchen Posten ist auch nicht die Qualifikation, sondern wie bei ähnlichen Positionen die Loyalität zum Regime», sagte Fathollah-Nejad. 

Dass sich Nationalspieler vor der Fußball-WM mit Kritik zurückhalten, wundert den Experten nicht. Die Angst, aus dem Kader gestrichen zu werden, ist groß. «Es gibt keine Limits. Da werden Familienangehörige unter Druck gesetzt oder mit der Konfiszierung von Eigentum gedroht. Natürlich ist auch die Karriere von Sportlern bedroht. Bis hin zu strafrechtlichen Maßnahmen», sagte Fathollah-Nejad.

Die WM ist für das sportverrückte Land ein absolutes Highlight. Schon die Qualifikation wurde wie ein Titel gefeiert. Den Gruppenspielen gegen England, Wales und Katar fieberten die Iraner monatelang entgegen. Nun stellen die Proteste den Fußball in den Schatten und viele fordern den Ausschluss ihres beliebten «Team-Melli», um die islamische Republik zu strafen. «Wie soll man an Fußball denken, wenn unser Volk dermaßen leidet?», fragte Ex-Nationalspieler und Trainer des beliebten Vereins Persepolis Teheran, Jahia Golmohammadi.

Andere sehen die internationale Aufmerksamkeit während der WM als Chance. «Weil Spieler auf der Weltbühne sind und dort auch Solidarität zeigen können. Das könnte die Protestierenden sogar mehr ermutigen, als wenn der Iran disqualifiziert wird», sagte Fathollah-Nejad.

Dass Sport im Iran durch und durch politisiert ist, weiß Vaisi aus eigener Erfahrung. «Regierungsvertreter und Kleriker begleiteten uns auf den Lehrgängen. Wir wurden gezwungen, zu beten. Uns wurde gesagt, wie wir uns zu verhalten haben», erinnerte sich der 32-Jährige. Er kann verstehen, dass sich aktive Athleten mit Kritik zurückhalten. «Für viele ist Profisport der einzige Weg aus der Armut. Und wer Kritik übt, hat keine sportliche Perspektive mehr», sagte Vaisi. 

Viele ehemalige Fußballstars, unter ihnen auch drei frühere Bundesligaprofis, äußern sich dagegen öffentlich – und nehmen Konsequenzen in Kauf. Wegen seiner Kritik am System droht etwa dem früheren Bayern-Spieler Ali Karimi eine Verhaftung. Dem iranischen Ehrenspielführer Ali Daei soll der Pass abgenommen worden sein. Auch der frühere HSV-Profi Mehdi Mahdavikia kritisierte Irans Führung und trat als Cheftrainer der iranischen U-21 Nationalmannschaft zurück. 

Sie alle sind zu Nationalhelden geworden. So wie Kletterin Elnaz Rekabi, die im Finale der Asienmeisterschaften in Südkorea ohne das für die iranischen Sportlerinnen obligatorische Kopftuch antrat. Über Nacht wurde sie zur Galionsfigur der Frauenbewegung. 

Vaisi hatte sich vor seiner Flucht ebenfalls für ein offeneres, freieres Iran eingesetzt. «Ich war politisch im Untergrund aktiv. Irgendwann wurden meine Freunde verhaftet und ich bin schnell geflohen.» Wann er seine Eltern und Geschwister wiedersieht, die immer noch im Iran leben? Das weiß er nicht. «Ich kann nicht zurück. Sonst werde ich festgenommen und im schlimmsten Fall hingerichtet.» Aufgeben will er aber nicht – genauso wenig wie viele mutige Menschen, die im Iran um ihre Freiheit kämpfen.

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