Monza (dpa) – Hastig laufen Kellner umher, nehmen Bestellungen auf und servieren frische Pizza. Auf den ersten Blick alles ziemlich «normal» – aber «normal» will diese Pizzeria eben nicht sein. Im Restaurant PizzAut in der norditalienischen Stadt Monza arbeiten junge Menschen mit Autismus als Pizzabäcker und Kellner. «”Du bist nicht normal” ist das beste Kompliment, das ich je bekommen habe!», steht auf jeder Speisekarte. Eine Pizza heißt etwa «Normaloide» – als Anspielung auf ein italienisches Schimpfwort für Behinderte.
Das Restaurant und das Projekt sind in Italien bekannt. Es will Autonomie und Unabhängigkeit geben – es ist ein Kampf gegen Diskriminierung von Autisten und Menschen mit geistiger und körperlicher Behinderung am Arbeitsplatz. Und diesen führt Nico Acampora, Gründer des PizzAut-Projekts, voller Energie.
Es geht um Inklusion von Menschen mit Autismus – dabei mag Acampora den Begriff gar nicht. «Dieses Wort gibt es nur deshalb, weil es noch immer keine echte Inklusion gibt!», sagt er. «Mein Ziel ist es, dass wir keine “besonderen Restaurants” mehr brauchen, sondern dass alle Arbeitgeber Menschen mit Behinderung einstellen.» Und PizzAut will mit gutem Beispiel vorangehen. «Unsere Leute sind nicht hier, weil sie autistisch sind, sie sind hier, weil sie einfach so gut sind!»
Viele legen fast schon pedantisch Wert auf klare Regeln: Wer ein Wasser und dann eine Pizza Margherita bestellt, erhält prompt die Anweisung, zuerst das Essen und dann das Getränk zu ordern. Wer zum Kaffee Zucker mag, sollte das Tütchen schnell greifen – sonst meinen die Kellner, es wird nicht gebraucht und nehmen es prompt wieder weg.
Auch das Restaurant passt sich den individuellen Bedürfnissen etwa bei der Inneneinrichtung an. Das Licht ist so ausgerichtet, dass keine Schatten entstehen. Jeder Tisch hat eine rote Line, die einen kleinen Teil des Tisches abtrennt – manche Kellner brauchen das als «Komfortzone», um sich sicher zu fühlen, berichtet Acampora. Die Gänge zwischen allen Tischen sind so ausgerichtet, dass kein Durcheinander entsteht – es gibt klare Wege.
Die Restaurant-Idee kam dem gebürtigen Neapolitaner im Jahr 2016. Der 52-Jährige hat einen autistischen Sohn und wollte für ihn und andere junge Leute mit Autismus eine Arbeitsmöglichkeit schaffen. Alles begann mit einem Foodtruck, in dem Acampora mit einigen Jungs Pizzas verkaufte. 2021 eröffnete das erste Restaurant in Cassina de‘ Pecchi nahe Mailand. Anfang Mai öffnete nun die Filiale im ebenfalls bei Mailand gelegenen Monza; dort arbeiten 35 junge Autisten.
In Italien gibt es nach Angaben von Stiftungen und Vereinen rund 600 000 Autisten. Autistische Menschen haben eine besondere Wahrnehmung und sind in ihrer Kommunikation sowie Interaktion mit anderen Menschen mehr oder weniger stark eingeschränkt. Wiederholende Verhaltensmuster, besondere Interessen oder Aktivitäten können ebenso typisch sein. Man spricht auch vom autistischen Spektrum. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO können einige Menschen mit Autismus ein unabhängiges Leben führen, andere hingegen haben schwere Behinderungen und benötigen lebenslange Pflege und Unterstützung.
In Italien sind Firmen und Betriebe mit mehr als 15 Mitarbeitern dazu verpflichtet, Leute mit Behinderung einzustellen. Laut Acampora ziehen es viele Firmen aber vor, Strafen zu bezahlen, statt die Mitarbeiter-Quote von Menschen mit Behinderung zu erfüllen.
PizzAut will nicht nur ein Restaurant, sondern ein gesellschaftliches Projekt sein, um Autisten in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Acampora sagt, es sei wichtig, dass junge Menschen aktiv an der Gesellschaft teilnehmen können. «Es ist eine Chance für viele autistische Kinder, durch Arbeit Würde und Autonomie zu erlangen.» Die Erfahrungen bei PizzAut zeigten nämlich auch, dass «Barrieren oft nur in unseren Köpfen, nicht aber in unseren Herzen» sind.
Bei der Arbeit am Pizza-Ofen oder mit den Gästen am Tisch blühen viele auf. «Es gab hier einige, die früher nicht schreiben konnten und heute die Bestellungen aufschreiben. Andere konnten oder wollten nicht mit Fremden reden und nehmen heute die Bestellungen entgegen. Einige mochten auch keinen Körperkontakt – heute umarmen sie mich, ihre Kollegen und manchmal sogar nette Kunden», erzählt Acampora.
Einer der Kellner ist Lorenzo und als Strahlemann bekannt, weil er immer lächelt. Bevor Lorenzo bei PizzAut angefangen hatte, war er vier Jahre in einem Zentrum für behinderte Jugendliche. «Ein Ort, in dem niemand sein eigenes Kind sehen möchte», sagt Acampora. Als er Lorenzo einstellte, sagte dieser: «Nico, dort bin ich jeden Tag ein bisschen gestorben, aber hier bin ich wiedergeboren worden.»
Die Pizzabäcker bezeichnen ihre Pizza als «beste der ganzen Galaxie». Einen himmlischen Segen bekamen sie 2022, als Papst Franziskus die Gruppe im Vatikan empfing. Der Pontifex band sich sogar die typische rote Schürze um. «Es geht um die Würde aller, die allzu oft an den Rand gedrängt werden, weil sie als anders oder gar nutzlos abgestempelt werden, die aber in Wirklichkeit einen großen Reichtum für die Gesellschaft darstellen», sagte er damals. Danach verteilten die jungen Leute Pizzen an Obdachlose rund um den Petersplatz.
Acampora und seine Leute erleben auch Diskriminierung, etwa in den sozialen Medien. Neben vielen positiven Kommentaren gebe es auch welche, die schmerzten, etwa jene einer Frau, die ihn als «üblichen frustrierten Vater» bezeichnete, der «angesichts der Behinderung seines Sohnes nicht aufgibt und unrealisierbare Projekte erfindet, die anderen Familien falsche Hoffnungen machen».
Er und die jungen Menschen lassen sich nicht unterkriegen. Ermutigt werden sie von den Anfragen aus dem Ausland, auch aus Deutschland, die PizzAut über Franchising in die weite Welt bringen wollen. Und auch über Gästezahlen kann sich PizzAut nicht beschweren. In den zwei Filialen wurden Acampora zufolge schon ungefähr 250 000 Pizzas gebacken. «Die Gäste haben also meinen Frust gegessen – mit leckerer Fior-di-Latte-Mozzarella. Ich hoffe, es hat allen geschmeckt.»