Wedel (dpa) – Begrüßungskapitän Uwe Mohr hat nur noch wenige Minuten Zeit und die Rechner sind noch nicht ganz hochgefahren. Das auf der Elbe bei Wedel einfahrende große Containerschiff ist schon zu sehen. Routiniert und flink fischt der 80-Jährige aus dem Schrank mit rund 17 000 Karteikarten die richtige raus. «Northern Jubilee» steht darauf. Und alle Fakten rund um das Schiff. Gerade als der Containerriese das Restaurant «Schulauer Fährhaus» in Wedel an der Grenze zu Hamburg passiert, schallt die Hymne Liberias aus den Lautsprechern der Gastronomie und über die Elbe.
Das Schiff fährt unter liberianischer Flagge und wird deshalb mit der passenden Hymne begrüßt. Uwe Mohr ist einer von sechs Schiffsbegrüßungskapitänen, die das 365 Tage im Jahr möglich machen. Das besondere «Hallo» der Schiffsbegrüßungsanlage «Willkomm Höft» für die Seeleute aus aller Herren Länder ist weltweit fast einmalig, sagt Mohr. Nur am Nord-Ostsee-Kanal gibt es eine ähnliche Anlage. Auch dort hat er schon mehr als elf Jahre Schiffe begrüßt.
Nach der Hymne richtet er sich nun an die Restaurantgäste im «Schulauer Fährhaus». Fast jeder Platz ist besetzt. Von allen aus kann man direkt auf die Elbe und damit auf die durchfahrenden Schiffe schauen. Manche schrecken leicht auf, andere warten gespannt. Alle blicken nun auf den braunen Pott auf der Elbe. «Die Northern Jubilee wurde 2009 in den Dienst gestellt. Sie ist 330 Meter lang und hat einen Tiefgang von 14,5 Metern», informiert Mohr die Besucherinnen und Besucher der Gastronomie. Auch die Anzahl der oft überraschend geringen Besatzung nennt Mohr.
Nicht wenige der Gäste sind eigens wegen dieser Ansagen hier. So wie Andreas Lüke. Er ist mit Frau und Freunden aus Rheinland-Pfalz angereist – und beeindruckt. «Ich bin überrascht von der riesigen Gastro hier. Ich dachte, die sitzen hier in einem kleinen Lotsenhaus.» Vor den Toren Hamburgs gilt es durchaus als Wahrzeichen der Hansestadt. Einst war es ein wichtiges Zeichen für die Seeleute aus der Stadt – «gleich daheim».
Der aktuelle Betreiber des «Schulauer Fährhauses», René Schillag, hebt das Alleinstellungsmerkmal hervor. «Das ist in der Größenordnungen und der Dauer weltweit einzigartig und sogar in den Schiffskarten eingezeichnet.» Er habe 2011 bewusst die Anlage von den vorherigen Betreibern gekauft. «Die Touristen stehen immer wieder mit offenen Mündern da und hören die Ansagen und Nationalhymnen. Das sind rührende Momente, vor allem wenn Gäste von uns Passagiere und Besatzung an Bord kennen. Das ist ja immer ein bisschen Fernweh-Romantik, wenn man die großen Pötte am Horizont entlangfahren sieht.»
Der traditionsreiche Ort mit dem durchaus sperrigen Namen lässt schon seit Sommer 1952 die Hymnen aller Länder ertönen, unter dessen Flagge die Pötte in den Hamburger Hafen einfahren. Damals arbeiteten die Kapitäne noch mit Schallplatten, später dann mit Musikkassetten. Mittlerweile werden die Töne digital ausgespielt. Vorhanden sind die Musikkassetten aber noch immer. «Falls die Computer mal ausfallen. Was übrigens noch nie passiert ist», so Mohr.
Durch die Digitalisierung – vier PC-Bildschirme hat Mohr vor sich – ist der Job der Begrüßungskapitäne auch in den vergangenen Jahren deutlich einfacher geworden. Dank spezieller Internetseiten sehen sie nun nämlich schon Stunden vor der Ankunft, welche Schiffe demnächst den Hamburger Hafen verlassen oder die Elbe rauf fahren. Mohr kann sich damit ganz entspannt die entsprechenden Karteikarten raussuchen und zurechtlegen. 22 Schiffe wird er am Ende seiner Sieben-Stunden-Schicht begrüßt beziehungsweise verabschiedet haben. Wenn Hamburger Hafengeburtstag ist, können es auch schon mal bis zu 40 Schiffe in einer Schicht werden.
Mohr war vor seiner Rente Kurdirektor und Geschäftsführer in deutschen Heilbädern und Kurorten. Auf einem Schiff hat er dabei nie gearbeitet. «Von uns sechs Schiffsbegrüßungskapitänen ist keiner je berufsmäßig zur See gefahren», sagt Mohr mit einem Schmunzeln. Sie eint die Liebe zum Maritimen. Und das «Schnacken und Sabbeln». Die Kosten für die sechs Senioren und den Betrieb übernimmt der Pächter des Schulauer Fährhauses. Ebenfalls bereits seit 71 Jahren.
Begrüßt werden übrigens nicht nur die großen Kähne, Container- und Kreuzfahrtschiffe. Auch Traditionssegler und -dampfschiffe bekommen ihre Hymne beim Einfahren in den Hamburger Hafen. «Die machen dann im Gegenzug auch ordentlich Rabbatz und grüßen zurück», sagt Mohr dazu. «Wenn wir die Hymnen haben, begrüßen wir auch große private Yachten. Manchmal erklären die Kapitäne die Daten zu den Schiffen auch auf plattdeutsch. «Es gibt auch relativ viele Leute, die sich darüber freuen.»
178 Hymnen könnte die Schiffsbegrüßungsanlage abspielen. Doch in Wedel kommen wohl vor allem die Nationalhymnen der Länder Panama, Liberia sowie Antigua und Barbuda aus den Lautsprechern. Dem Seemannsclub Duckdalben zufolge fahren nämlich die meisten Schiffe unter der Flagge dieser Länder. Stellvertretend für die Besatzung ist das oft nicht. «Der größte Teil der Seeleute kommt von den Philippinen, aus Indien und der Ukraine oder anderen Staaten. Damit werden sie von der Hymne, die gespielt wird, nicht repräsentiert», sagt ein Duckdalben-Sprecher dazu. Oft hätten die Seeleute auch kurz vor der Einfahrt in den Hamburger Hafen unter Deck viel zu tun und würden die Begrüßung deshalb auch nicht unbedingt mitbekommen.
Manchmal jedoch ruft aber tatsächlich ein Kapitän beziehungsweise Lotse bei den Begrüßungskapitänen an und wünscht sich die Hymne der überwiegenden Nationalität der Besatzung. «Das machen wir dann natürlich auch», so Mohr. Der Duckdalben-Sprecher findet das gut. «Das ist lobenswert. Denn das sind die Menschen, die für 70 bis 80 Prozent der Produkte in unserem Leben zuständig sind, sie werden aber nie gesehen. Deshalb ist jegliche Form, den Seeleuten Respekt zukommen zu lassen und ihre Sichtbarkeit zu erhöhen, zu begrüßen. Auch, wenn es nur akustisch ist.»
Auch Michael Otremba, Geschäftsführer von Hamburg Tourismus, würdigt die Schiffsbegrüßungsanlage in Wedel als «ein äußerst wertvolles Kulturgut». «Diese Zeremonie vermittelt ganz authentisch die Hamburger Willkommenskultur. Es ist ein tolles Erlebnis- und Informationsangebot für Hamburger und Gäste.»