Kelkheim/Frankfurt (dpa/lhe) – Nach dem Regen der vergangenen Wochen ist das Gras saftig-grün, die Apfelbäume blühen, in der Ferne sind in leichtem Nebel die Bürotürme Frankfurts zu sehen. Kein Zweifel: Es gibt wesentlich hässlichere Arbeitsplätze als den von Sabine Benneter. Die Maschinenbauingenieurin ist mit ihrer selbst entwickelten App unterwegs auf der Hessischen Apfelwein- und Obstwiesenroute.
Die Route an sich ist nicht ganz neu – sie wurde vor rund 30 Jahren angelegt. Doch genau das ist das Problem: Viele Wegmarken sind verwaschen oder existieren nicht mehr auf der rund 1000 Kilometer langen Wander- und Radfahrroute. Und auch neue angliedernde Strecken kamen hinzu. Stirnrunzelnd blickt Benneter auf die Karte auf dem Display ihres Handys. «Da hat sich im Laufe der Jahre ein ziemliches Gespinst entwickelt», räumt sie ein.
Dieses Gespinst soll sie für den Regionalverband RheinMain entwirren. Ihr Ziel sei es, einzelne Wege zu identifizieren, die man den Menschen in der Region zum Erkunden, für Erholung und Auszeit in der Natur anbieten könne. Benneter läuft die Strecke ab, notiert Wegezustand, Ruhebänke, Picknickplätze oder besonders schöne Panoramablicke, aber auch fehlende Wegweiser oder zugewachsene Routen, die es früher einmal gab. Auf ihrer App notiert Benneter neben GPS-Daten alles Wissenswerte zur Strecke. Seit dem vergangenen September ist sie unterwegs – angelegt ist das Projekt auf drei Jahre.
Es geht zum Beispiel darum, ob eine Strecke auch zum Radfahren geeignet ist, ob ein Weg befestigt oder naturnah ist oder ob dort besondere Merkmale wie Gaststätten oder Apfelweinkneipen, Keltereien oder Aussichtspunkte vorhanden sind. Auch Sitzbänke, Parkplätze oder Toiletten spielen hier eine wichtige Rolle.
Zudem gibt es ein Bewertungssystem: Für die Apfelwein- und Obstwiesenroute ist die beste Kategorie «Umfeld ansprechend plus Bezug zu Streuobst.» Durch Streuobstwiesen sollte die Strecke dann schon führen, obendrein landschaftliche Vielfalt und Panoramablicke bieten, wie im Fall der Kelkheimer Route auf die Frankfurter Skyline. Schlechte Bewertungen gibt es etwa für Wege, die durch ein tristes Industriegebiet führen, in einer Sackgasse oder im Nirgendwo enden, ohne dass irgendwo ein paar Obstbäume stehen. Eventuell müsse hier der Routenverlauf geändert werden, sagt Benneter. Bei der Revitalisierung der Route hat sie ein Ziel: «Die Menschen sollen die Streuobstwiesen stärker wahrnehmen und erkennen, dass die auch schützenswert sind.»
Jetzt, im Frühjahr, bieten die Streuobstwiesen mit ihren blühenden Bäumen ein besonders schönes Bild. Doch es ist nicht allein der Blütenzauber, um den es bei dem Projekt geht. Denn Streuobstwiesen sollen die gebührende Wertschätzung bekommen, so Rouven Kötter, Erster Beigeordneter des Regionalverbands. «Sie sind einerseits uralte Kulturlandschaft, andererseits hochmodern, wenn es um Fragen von Nachhaltigkeit, regionalen Lebensmitteln, ihre Bedeutung fürs Ökosystem, aber auch für die lokale Lebensqualität geht», sagt er.
Selbst in Zeiten des Klimawandels seien sie nützlich. Denn Ballungsräume wie das Rhein-Main-Gebiet erhitzen sich an heißen Sommertagen deutlich stärker als weniger dicht besiedelte Gebiete. «Streuobstwiesen haben in diesen Ballungsräumen also auch eine wichtige klimatische Ausgleichsfunktion», so Kötter.
Das Obst an den Bäumen ist allerdings Eigentum eines Bauern und darf nicht einfach nach Lust und Laune vom Baum gepflückt werden, betont Benneter. «Das steht hier nicht einfach alles rum und wächst. Die Wiesen müssen gepflegt, die Bäume geschnitten werden. Da steckt viel Arbeit drin.»
Es geht aber nicht nur um Sensibilisierung, sondern auch um Engagement: Eine große Gemeinschaft aus Landschaftspflegern, Naturschützern, Landwirten, Keltereien und Leuten, die Lust haben, beim Erhalt der Obstwiesen mitzumachen, sieht Benneter als Ziel ihrer Arbeit. «Das ist keine Monokultur. Streuobstwiesen sind abwechslungsreich und ein wichtiger Lebensraum», betont sie die ökologische Bedeutung der Wiesen nicht nur fürs «Stöffsche», sondern auch für Insekten und andere Tiere.
Als die 1995 im Main-Taunus Kreis gegründete Apfelwein- und Obstwiesenroute angelegt wurde, schlossen sich Wiesenbesitzer, Keltereien und Gaststätte in «Schleifen» zusammen. «Das wurde so angelegt, dass man überall vorbeikam an den Wirtschaften», sagt Benneter. «Aber dadurch entstand halt auch dieses Wege-Gestrüpp.»
Mittlerweile gibt es fünf Regionalschleifen – im Landkreis Gießen, Main-Kinzig, zwischen Main und Taunus, Stadt und Kreis Offenbach sowie in der Wetterau.
Bei der künftigen Wegbeschreibung und Wanderkarte soll es nicht nur darum gehen, wo Streuobstwiesen erlebt werden können, sondern auch um Informationen über Anreise auch mit dem öffentlichen Nahverkehr, Hofläden und regionale Angebote, aber auch um Infopunkte. «Die Leute sollen ja nicht nur einmal kommen, sondern gerne öfters», sagt Benneter. «Im Herbst ist es hier zum Beispiel auch ganz toll.»