DeutschlandErfurt

Freudentränen und Jubel: Erfurt bekommt Unesco-Welterbe-Status

Die Aufnahme des jüdisch-mittelalterlichen Erbes von Erfurt auf die Unesco-Welterbeliste ist in Thüringen mit großem Jubel aufgenommen worden. Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) lobte die drei ausgezeichneten Bauwerke in der Altstadt als bauliche Kleinode, die auf einmalige Weise vom friedlichen Miteinander jüdischer rund christlicher Gemeinschaften im Mittelalter zeugten.

Botschaft eines Lebens in friedlichem Miteinander

Der Welterbe-Titel stärke das gemeinsame Bemühen von Stadt und Land, diese historischen Stätten zu erhalten und ihre wechselvolle Geschichte öffentlich zu vermitteln. «Möge von Thüringen mit dieser Entscheidung die Botschaft eines Lebens in Vielfalt und friedlichem Miteinander ausgehen», erklärte Ramelow nach der Entscheidung für den Erfurter Welterbe-Status.

Der Oberbürgermeister von Thüringens Landeshauptstadt, Andreas Bausewein (SPD), sah darin die Krönung einer jahrelangen, akribischen Vorbereitung. «Jetzt, da Erfurt mit dem Welterbetitel geadelt wurde, müssen und werden wir diesen Schatz hüten und wahren wie unseren Augapfel.»

Freudentränen und großer Jubel

Bausewein hatte die Sitzung des zuständigen Unesco-Komitees in Saudi-Arabiens Hauptstadt Riad am Sonntag gemeinsam mit rund 200 Gästen im Festsaal des Rathauses live auf zwei Monitoren verfolgt. Nach der Verkündung brach großer Jubel aus, einige hatten vor Freude Tränen in den Augen.

Erfurt sieht mit dem Welterbe-Status die Verpflichtung, die Alte Synagoge, das mittelalterliche Ritualbad sowie das sogenannte Steinerne Haus, ein historisches Wohngebäude, zu pflegen und weiter zu erforschen. So wird in der Stadt beispielsweise an der Idee für ein Welterbezentrum hinter dem Rathaus gearbeitet.

Der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde, Reinhard Schramm, sieht in dem Welterbetitel einen Anziehungspunkt für Touristen. Auch die jüdischen Gemeindemitglieder würden sich nun noch mehr zu Hause fühlen. Schramm hofft im Zuge des Welterbetitels zudem auf ein koscheres Restaurant in Erfurt.

So reagiert der Erfurter Bischof Ulrich Neymeyr

Der Erfurter Bischof Ulrich Neymeyr sieht in dem Weltkulturerbe-Titel für das jüdisch-mittelalterliche Erbe Erfurts eine Verpflichtung. «Es treibt mich um und sorgt mich stark, dass noch immer Menschen unter uns leben, die ihren Antisemitismus pflegen und sogar Gewalt gegenüber Jüdinnen und Juden üben», erklärte der Bischof am Sonntag nach der Entscheidung für Erfurt.

«Dagegen vorzugehen und die gemeinsamen Wurzeln zu entdecken, die Juden und Nichtjuden verbinden, ist auch eine Verpflichtung, die sich aus dem Welterbe-Titel ergibt.» Juden könnten immer noch nicht unbesorgt in Deutschland leben, sagte der Bischof. Und es sehe so aus, als würden sie es immer weniger können. «Das ist ein Skandal!»

Neymeyr verwies darauf, dass die als Welterbe ausgezeichneten Denkmäler zwar eine Blütezeit jüdischen Lebens in Erfurt bezeugten. Aber das Verhältnis zum Judentum sei in der Vergangenheit nie frei von Ablehnung, Diskriminierung und Gewalt gewesen. Auch Christen hätten ihren Anteil daran.

UNESCO-Titel für jüdisches Kulturgut in Deutschland

Vor zwei Jahren hatte die Unesco erstmals jüdisches Kulturgut in Deutschland ausgezeichnet. Die sogenannten Schum-Stätten in Mainz, Worms und Speyer erhielten damals als eine Wiege des europäischen Judentums den Welterbe-Titel. In Erfurt war rund 15 Jahre lang an der Bewerbung um eine Anerkennung als Weltkulturerbe gearbeitet worden.

Die Alte Synagoge gilt heute als eine der ältesten erhaltenen in Europa. Ihre Geschichte lässt sich bis ins späte 11. Jahrhundert zurückverfolgen. Nach einem verheerenden Pogrom im Jahr 1349 wurde das Gotteshaus zuerst als Lager, später als Gastwirtschaft genutzt und überdauerte so die Jahrhunderte, bis es 1988 wiederentdeckt wurde.

Heute befindet sich in der Alten Synagoge, deren älteste Bauspuren um 1094 datiert werden, ein Museum. Ausgestellt sind dort Zeugnisse des jüdischen Lebens im mittelalterlichen Erfurt. Dazu gehören mehrere Tausend Silbermünzen und -barren sowie Gold- und Silberschmiedearbeiten aus dem 13. und 14. Jahrhundert. Als bedeutendstes Stück gilt ein goldener Hochzeitsring.

Auch die Erfurter Mikwe war lange in Vergessenheit geraten. Ihre älteste Mauer stammt vom Anfang des 12. Jahrhunderts. Als 1452 die zweite jüdische Gemeinde vertrieben wurde, die nach dem Erfurter Pogrom in der Stadt Fuß gefasst hatte, schüttete man das Wasserbecken zu und nutzte das Ritualbad als Keller. Nur einem Zufall war es zu verdanken, dass die Mikwe 2007 wieder zum Vorschein kam.

Mit dem Steinernen Haus gehört auch ein Profanbau zum neugekürten Welterbe. Dass in dem um 1200 errichteten Gebäude eine jüdische Familie wohnte, ist nicht an der Architektur zu erkennen, lässt sich aber den mittelalterlichen Steuerlisten entnehmen.

Prognose: Tourismus wird enorm ansteigen

Der Welterbetitel für das jüdische Erbe Erfurts aus dem Mittelalter wird nach Einschätzung der Touristiker die Bekanntheit der Thüringer Landeshauptstadt enorm steigern. Der prestigeträchtige Welterbe-Status werde neue Türen in der internationalen Vermarktung öffnen, erklärte Carmen Hildebrandt, Geschäftsführerin der Erfurt Tourismus und Marketing GmbH nach der Verkündung am Sonntag.

«Insbesondere internationale Gäste und Reiseveranstalter nehmen gerne die Unesco-Welterbestätten als Reiseanlass und bauen diese bei einer Rundreise durch Deutschland beziehungsweise Europa als Höhepunkte ein», sagte Hildebrandt. Auf das nun zu erwartende zunehmende Interesse sei Erfurt gut vorbereitet.

Ähnliche Artikel

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"