Münchehagen (dpa/tmn) – Es sind eigentlich nur Löcher im Boden. Doch wenn selbst sonst so coole Teenager grinsend ihre Füße zum Abgleich hineinstellen, muss man sich die Frage stellen: Was fasziniert uns Menschen eigentlich so an Dinospuren?
Die Frage geht an den Paläontologen Benjamin Englich – und der hat eine Vermutung: «Das entspringt wohl unseren Urinstinkten als Jäger und Sammler», sagt er. «Etwas zu finden, dass Millionen von Jahren im Gestein eingeschlossen war und einzigartig auf der Welt ist, löst ein unbeschreibliches Gefühl aus.»
Englich muss es wissen, schließlich forscht er über Dinospuren. Er ist wissenschaftlicher Leiter im Dinosaurier-Park Münchehagen, gut 50 Kilometer westlich von Hannover.
Wie ein Millionen Jahre alter Tagebucheintrag
Der Fachmann skizziert auch einen interessanten Unterschied der Spuren zu Skeletten. Diese lassen hauptsächlich Rückschlüsse auf die Anatomie, die evolutionäre Zugehörigkeit und die Ernährungsketten der verstorbenen Tiere zu. Fußabdrücke, sagt Englich, seien hingegen eine Art Tagebucheintrag. «Oder das Video einer Überwachungskamera von vor mehr als 65 Millionen Jahren.»
Denn die Fußspuren zeigen einen Ausschnitt aus dem Leben eines Dinosauriers. Wie schnell ist er gelaufen? Hat er eine Kurve gedreht? Ist er in der Herde gelaufen?
Für eine Herdenwanderung spricht, wenn mehrere Fährten parallel verlaufen. Zu sehen ist das in Münchehangen zum Beispiel bei den schätzungsweise 139 Millionen Jahre alten Abdrücken der Sauropoden. Das waren riesige Pflanzenfresser mit – in der Regel – langen Hälsen. «Keine der Spuren überkreuzt sich, deswegen denken wir, dass die Tiere dort zeitgleich liefen», erklärt Englich.
Rückschlüsse aufs Spazierverhalten – und auf Gefahr
Einen anderen Hinweis liefern drei Spuren innerhalb dieser «Herde»: Ein Tier läuft knapp neben einem anderen, macht plötzlich eine Kurve und entfernt sich, während das andere weiterläuft. Kurz darauf lenkt der abbiegende Dino wieder gegen und läuft eng neben einem dritten Tier weiter. Englich interpretiert diese Spuren so: Der Dino wechselte im Lauf gewissermaßen seinen «Spazierpartner».
Auch auf das Nist- und Schauverhalten können Wissenschaftler durch die Spuren manchmal Rückschlüsse ziehen. Zum Beispiel, wenn die Tiere auf dem Boden gescharrt haben.
Gefährliche Situationen lassen sich ebenfalls über Spuren nachvollziehen, wie der Dinosaurier-Forscher Jens Lallensack von der Universität Bonn an einem Beispiel deutlich macht: «In Lark Quarry in Australien wurde eine Fundstelle so interpretiert, dass ein großer Fleischfresser sich an kleine Dinosaurier angeschlichen hat, die dann weggerannt sind.» Eine Szene in der Hollywood-Filmreihe «Jurassic Park» basiere angeblich darauf.
Wie Abdrücke überdauern und wieder zum Vorschein kommen
Damit Dinospuren entstehen konnten, die wir heute noch sehen und deuten können, musste der Untergrund seinerzeit genau den richtigen Wassergehalt aufweisen. «Ist der Boden zu weich, bekommt man anstatt Fußspuren nur unförmige Löcher. Oder sie verschwinden wieder», sagt Lallensack. «Ist er dagegen hart wie ein Stein, hinterlässt der Dinosaurier keine Fußspuren.»
War ein Fußabdruck entstanden, musste er gefestigt werden. Häufig blieb die Spur offen und wurde von der Sonne festgebacken. Kam danach Wasser darauf, war der Fußabdruck stabil genug – und blieb. Auch eine darüber wachsende Algenmatte und Ton erhalten ihn. Längerfristig mussten sich zudem Gesteinsschichten darauflegen.
So beschreibt Jens Lallensack den Prozess und sagt: «Anders als bei einem Flussdelta oder einer Küste funktioniert das auf einem Berg oder Hang nicht, weil dort etwas abgetragen anstatt abgelagert wird.»
Sehen wir heute Dinosaurierspuren, sind sie aus Stein. Der Grund: Der Sand auf den Spuren sowie die Spuren selbst wandeln sich im Laufe der Jahrmillionen in Sandstein um.
Und wie kommen die Abdrücke wieder an die Erdoberfläche? «Durch Tektonik, also durch die Bewegungen in der Erdkruste», antwortet Lallensack. Trotzdem tauchen Spuren heute nicht einfach auf, viele müssen ausgegraben werden. Deswegen findet man in Deutschland meist welche auf Baustellen. In Münchehagen steht der Dinopark auf der ehemaligen Abbaufläche eines Sandsteinbruchs.
Wände konnten Dinos nicht hochlaufen
Am Saurierfährten-Naturdenkmal in Barkhausen, östlich von Osnabrück, sieht man Dinospuren, die auf einer Fährtenplatte fast senkrecht nach oben verlaufen. Seinerzeit, in der Oberjura vor 150 Millionen Jahren, konnten die Dinos natürlich keine Wände hochgehen. Der Untergrund der Fußspuren habe sich im Laufe der Zeit durch die Bildung eines Gebirges senkrecht aufgestellt, so Lallensack.
Was einem die Fußspuren oft nicht verraten, ist die dazugehörige Dinosaurierart. Eine Ausnahme sind die Sauropoden. Deren Abdrücke sehen wie Elefantenfüße aus. Die meisten anderen jedoch haben drei Zehen. Das Problem sei, erklärt Lallensack, «dass sowohl die Fleisch- als auch manche Pflanzenfresser diese Spuren gemacht haben». Und ab einer gewissen Größe hätten Fleischfresser alle ähnliche Füße.
In Münchehagen sind die häufigsten Funde «Iguanodontipus». Allerdings: «Um ganz sicher zu sein, bräuchte man am Ende der Spur das Skelett, das eindeutig beweist, wer sie gemacht hat», schränkt Benjamin Englich ein. «Ein solcher Fund ist allerdings unwahrscheinlicher als ein Lottogewinn.»
Deswegen orientieren sich die Namen der Spuren an den wahrscheinlichsten Erzeugern. Iguanodontipus bezieht sich auf den Iguanodon, dessen Hinterfüße drei Zehen hatten.
Info-Kasten: Auf der Spur der Dinos – sieben Empfehlungen
Wo kann man sich wie Paläontologen auf die Spur der Dinos begeben? Das sind die Empfehlungen von Jens Lallensack und Benjamin Englich:
1. La Rioja, Spanien: Region, in der an vielen Stellen Spuren und Knochen gefunden wurden, etwa rund um die Gemeinde Enciso.
2. Rovereto, Italien: Ein sehr idyllischer Berghang unweit des Gardasees, wo man mehrere Dinosaurierspuren über recht weite Strecken verfolgen kann («Orme dei Dinosauri»).
3. Plagne bei Lyon, Frankreich: Die größten bisher gefunden Dinosaurierspuren der Welt («Dinoplagne»).
4. Dinosaurier-Park Münchehagen, Niedersachsen: Dort findet man Spuren von Sauropoden, Ornithopoden und Theropoden.
5. Obernkirchener Fährten, Niedersachsen: Dort liefen einst Ornithopoden.
6. Saurierfährten von Barkhausen, Niedersachsen: Auf einer Gesteinswand sieht man Spuren von Sauropoden und eines Megalosaurus (ein Raubsaurier).
7. Lommiswil, Schweiz: In dem Steinbruch kann man von einer Aussichtsplattform Sauropoden-Spuren bestaunen.