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Experte: Ostsee kann 2040 frei von Kriegsmunition sein

Die Meere nutzen und zugleich schützen - mit diesem Spannungsfeld setzen sich deutsche Meereswissenschaftler in einer Forschungsmission für Nord- und Ostsee auseinander. Bei einer Konferenz in Kiel wird deutlich, dass diverse Probleme zeitgleich anzupacken sind.

Die Ostsee kann aus Expertensicht bis 2040 frei von Weltkriegsmunition sein, wenn ausreichend Geld bereitgestellt wird. «Technisch ist das möglich», sagte Prof. Jens Greinert vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel am Mittwoch bei einer Konferenz mit rund 170 deutschen Meereswissenschaftlern. «Da leuchten mir die Augen», erklärte Schleswig-Holsteins Umweltminister Tobias Goldschmidt (Grüne). Das Land sei bereit, sich auch in Zeiten knapper Kassen finanziell an der Entsorgung zu beteiligen.

In der deutschen Nord- und Ostsee liegen Experten zufolge 1,6 Millionen Tonnen Kriegsmunition auf dem Meeresgrund. Mittlerweile hat der Bundestag 100 Millionen Euro zum Einstieg in die Entsorgung bewilligt. 2024 solle es in der Ostsee «pilotmäßig» losgehen, um zu lernen, wie Munition aus Versenkungsgebieten geräumt werden kann, sagte der Marinegeologe Greinert. «Das hat noch keiner gemacht.»

Der Handlungsdruck sei groß, weil ökologische Konsequenzen definitiv da seien, sagte Greinert. «Wir wissen, das karzinogene, mutagene Stoffe aus der konventionellen Munition, TNT und Umbauprodukte, ins Ökosystem gehen – wir können das nachweisen insbesondere in den Verdauungstrakten von Fischen und Muscheln.» Zum Glück sei die Konzentration bisher sehr niedrig und für den Menschen toxisch nicht relevant. Aber die Munition roste weiter durch. Werde jetzt nicht gehandelt, werde die Menge des freigesetzten Sprengstoffs TNT steigen. «Noch ist die Munition potenziell greifbar und bergbar». Der Zustand werde aber immer schlechter. «Irgendwann kriege ich das gar nicht mehr gefasst; und wenn ich es dann fassen will, zerquetsche ich es mehr, habe eine TNT-Staubwolke oder Sedimentwolke, die ins Wasser geht und das ist so der Super-Gau, den man nicht haben will.»

Nach den Piloträumungen werde man wissen, wie lange es insgesamt dauern und was es kosten wird, sagte Greinert. Die bewilligten 100 Millionen Euro reichten für die Piloträumung und den Bau einer Vernichtungsmöglichkeit. «Wenn das alles da ist, sind die 100 Millionen auch weg und dann muss es weiter Geld geben.»

Wissenschaftler erwarten in den nächsten 25 Jahren gravierende Veränderungen in Nord- und Ostsee. «Nicht nur die Folgen des Klimawandels werden die Regionen weiter belasten», sagte die Sprecherin einer Forschungsmission der Deutschen Allianz Meeresforschung, Prof. Corinna Schrum vom Helmholtz-Zentrum Hereon. «Auch die verstärkte Nutzung durch Industrie, Schifffahrt, Militär und für die Energieerzeugung wird sich massiv auf die Ökosysteme auswirken.» Das sei eine Herausforderung für die Fischerei und den Meeresschutz, aber auch für die Forschung.

Als Beispiele für Veränderungen nannte Schrum eine weitere Erwärmung und Versauerung des Wassers. Ein «riesengroßer Akteur» sei daneben der Ausbau der Offshore-Windenergie, in dessen Folge sich physikalische Bedingungen verändern würden, mit Auswirkungen auf die Biogeochemie, die Biologie, das Artenspektrum. «Das muss nicht alles negativ sein.» Manche Arten würden zurückgehen und andere zunehmen.

280 Wissenschaftler aus 28 Institutionen und 40 Arbeitsgruppen forschen seit eineinhalb Jahren gemeinsam in sieben Projekten zu Zukunftsthemen der Nord- und Ostsee. Das Bundesforschungsministerium fördert das Vorhaben in seiner ersten dreijährigen Phase mit 25 Millionen Euro.

In Kiel wurde das Spannungsfeld zwischen Schutz und Nutzung der Meere – durch Fischerei, Tourismus, Landwirtschaft, Energiegewinnung und Wassersport – deutlich. Minister Goldschmidt vertritt beide Seiten. Als «Meeresschutzminister» gehe es ihm darum, Bedrohungen durch Lärm, Baumaßnahmen, Vermüllung, Schad- und Nährstoffe sowie Überfischung in den Griff zu bekommen. Die Probleme der Meere seien vielfältig und multiplizierten sich. Und man könne sie nicht nacheinander lösen wollen. «Sondern wir müssen alle Probleme gleichzeitig adressieren, und das immer auch im Einklang mit Nutzerinnen und Nutzern.»

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