Rostock (dpa) – Der Bestand des in der Vergangenheit für die deutsche Ostseefischerei wichtigen Herings hat einem Experten zufolge die Talsohle durchschritten. Das zeigten Daten für das zurückliegende Jahr, auf deren Basis derzeit Empfehlungen für die EU-Kommission erarbeitet würden, sagte der Leiter des Thünen-Instituts für Ostseefischerei in Rostock, Christopher Zimmermann, der Deutschen Presse-Agentur. Für eine Aufhebung des mit Ausnahmen geltenden Fangverbots für Hering der westlichen Ostsee sei es aber noch zu früh.
Von einer Erholung des Bestands könne man noch nicht sprechen, sagte das Mitglied des Internationalen Rates für Meeresforschung (ICES), das die EU-Kommission berät. Aber wenn sich die Entwicklung fortsetze, könnten auch wieder Fangmengen über die derzeit geltenden Ausnahmen hinaus freigegeben werden. Eine Prognose, wann es so weit sein werde, sei schwierig, möglicherweise in fünf bis sieben Jahren. Seit 2022 darf Hering in der westlichen Ostsee nicht mehr gezielt gefischt werden – auch in diesem Jahr. Ausnahmen gelten für Boote unter zwölf Metern Länge, die mit Stellnetzen fischen.
Nun liegen laut Zimmermann erstmals Bestandsdaten für die Zeit nach Inkrafttreten des weitreichenden Fangverbots vor. Hinzu komme, dass 2022 auch die Fangmengen im Kattegat und Skagerrak – am Übergang zwischen Nord- und Ostsee – um 90 Prozent reduziert worden seien. Der Bestand sei auch 2021 schon auf niedrigem Niveau angewachsen. In den vier Jahren davor sei die erlaubte Fangmenge in der westlichen Ostsee bereits um 94 Prozent reduziert worden. Hinzu komme, dass 2020 auch wegen warmer Frühjahrs-Temperaturen das vorläufig schlechteste verzeichnete Herings-Jahr gewesen sei. Das Jahr 2022 habe nun den Aufwärtstrend von 2021 bestätigt.
Der Hering galt traditionell neben dem Dorsch als einer der Brotfische der deutschen Ostseefischer und war wichtig für deren Auskommen. Überfischung, Nährstoff-Einträge vor allem aus der Landwirtschaft und der Klimawandel machen dem Bestand zu schaffen. Durch die restriktiven Fangvorgaben ist die deutsche Ostseefischerei in eine Krise geraten. Nach Aussage Zimmermanns wird auch ein erholter Bestand wegen des Klimawandels nur etwa halb so produktiv sein wie noch in den 1990er Jahren.
Zu möglichen Auswirkungen eines vor oder auf Rügen geplanten Terminals für Flüssigerdgas sagte der Fischereiexperte, dass der Zeitpunkt der Bauarbeiten an der Anschluss-Pipeline im Greifswalder Bodden – der Kinderstube des Herings – wichtig sei. Erfolgten diese nach der Laichzeit also beispielsweise ab Ende Mai, verringere sich das Problem. Sobald die Arbeiten die Bodden-Schwelle überschritten, drohe keine Gefahr mehr durch die Bauarbeiten.
Zu den Auswirkungen des Betriebs eines möglichen Terminals – etwa durch Wärme oder Lärm – könne er derzeit nur spekulieren, sagte Zimmermann. Allerdings könne es für den Hering besser sein, ein Terminal weit draußen oder im Hafen etwa von Mukran einzurichten.
Deutliche Kritik übte der Experte an Plänen der EU-Kommission, Fischerei mit Grundschleppnetzen – also Netzen, die den Meeresgrund berühren – in allen Schutzgebieten bis spätestens 2030 zu verbieten. «Die wissenschaftliche Basis dafür ist dünn.» So würde das Verbot etwa auch in Vogelschutzgebieten gelten, obwohl Vögeln durch Grundschleppnetze keine Gefahr drohe. Auch sei der Einsatz solcher Netze etwa auf Schlammböden vertretbar. Wenn nicht alle Menschen Vegetarier würden, sei man auch auf diese Fischerei zur Erzeugung von Nahrungsmitteln angewiesen. Grundsätzlich habe die Fischerei geringere Auswirkungen auf das Klima und die Artenvielfalt als die Fleischproduktion an Land.