Berlin (dpa/tmn) – Asphalt bis in den hintersten Winkel und auch der letzte Trampelpfad auf dem Navi hinterlegt – die Zeiten, in denen Autofahren für den gemeinen Mitteleuropäer noch ein Abenteuer war, sind längst vorbei. Kein Wunder also, dass SUV und selbst Geländewagen immer mehr zu Sofas auf Rädern verkommen.
Doch man muss nur ein paar Stunden nach Südosten fahren, dann sieht die Welt ganz anders aus: Superkarpata heißt das vielleicht letzte, auf jeden Fall aber eines der größten Abenteuer, auf das sich Autofahrer in Europa einladen können. Für mittlerweile rund 3000 Euro pro Auto suchen sich hier im äußersten Zipfel Rumäniens seit bald 20 Jahren regelmäßig circa 200 Teilnehmer eine Woche lang ihren Weg durch die Wälder der Karpaten.
Vom Straßen- oder besser Wegebau wurde die Region hinter dem Balkan bislang sträflich vernachlässigt. Die Regeln der Rallye sind aber einfach: Statt einer Route gibt es nur einen Korridor, durch den sich jedes Team seinen eigenen Weg sucht, auch wenn es dort vielleicht gar keine Wege gibt. Wer über diese Grenzen fährt, kassiert Strafpunkte.
Ein Neuwagen unter Spezialumbauten
Mit dem, was die uns die Industrie heute als Geländewagen verkauft, braucht man sich dort kaum sehen lassen. Stattdessen setzen die meisten Teams auf stark modifizierten Offroader älterer Baujahre: vor allem Toyota Land Cruiser, Land Rover Defender, Mercedes G-Klasse, Jeep Wrangler oder Puch Pinzgauer als 6×6.
Immer aufgebockt, immer mit extra groben Reifen und immer mit jeder Menge Zubehör stürmen sie auf der Superkarpata durch den Schlamm. Nur einer wagt sich im Serientrimm auf die Strecke: Der neue Ineos Grenadier. Im letzten Jahrzehnt als sentimentale Liebhaberei des britischen Milliardärs Jim Ratcliffe gestartet, der das Ende des originalen Land Rovers nicht verwinden wollte, zielt er seit dem letzten Herbst auf jene Kunden, die den Schwenk des Defender von der Buckelpiste auf den Boulevard nicht mitmachen wollen.
Expeditionsausrüstung in der Preisliste
Ja, auch er fährt auf Spezialreifen mit – nun ja – mäßigem Straßenkomfort. Vor der Abfahrt hat das Team ein variables Transportsystem für die Ausrüstung in den Kofferraum geschraubt. Auf dem abwaschbaren Armaturenbrett prangt jetzt ein Funkgerät. Und für die digitale Routenplanung des nächsten Tages an der Innenseite der Hecktür ein großer Bildschirm.
Aber: Von der Seilwinde samt Fernbedienung über die Zusatzscheinwerfer über der Frontscheibe bis hin zum stabilen Dachträger und der Leiter für den Aufstieg ist alles original. Die Preisliste führt es auf wie andernorts ein High-End-Soundsystem oder die elektrische Sitzverstellung.
Dampfstrahler statt Komfortwäsche
Klar gibt es auch hier eine Klimaanlage und ein paar Komfortfeatures. Schließlich ist nicht jeder Ineos-Kunde ein Entdecker auf dem Weg ans Ende der Welt. Doch gibt sich der Grenadier mehr als alle Konkurrenten einen rustikalen, unverwüstlichen Anstrich.
Alle Schalter sind so grobschlächtig, dass man sie auch unter Stress und schwierigen Bedingungen oder mit dicken Handschuhen zielsicher erreichen kann. Und das Cockpit lässt sich sogar mit dem Dampfstrahler reinigen.
Über Stock und Stein durch die Karpaten
Das braucht es auch – zumindest bei der Superkarpata. Denn hier ist es erst so staubig und dann so schlammig, dass der Grenadier schon nach wenigen Kilometern nur so vor Schmutz starrt. Aber er trägt die Schlammspritzer stolz wie Sterne an einer Uniform – und verdient sich Minute für Minute mehr dazu.
Immer wieder erweist sich das, was auf der Karte noch nach Weg aussah, als verwucherte Erinnerung an einen alten Pfad, den sich die Natur längst zurückerobert hat. Und weil Umkehren mit Blick auf die Uhr nur selten eine Option ist, kämpft sich der Trupp tapfer durchs Unterholz und bricht sich Bahn über Baumstämme und Geröll.
Und wenn die Steigung mal zu steil oder der Schlamm zu tief werden, zieht sich der Grenadier mit der Winde oftmals einfach selbst aus dem Schlamassel.
Bayern-Power für die Briten
Angeboten wird der Grenadier mit einem Dreiliter-Reihensechszylinder. Den gibt es als Benziner (210 kW/286 PS) oder als Diesel (183 kW/249 PS). Immer aber kommt er von BMW, genau wie die achtstufige Automatik. Dazu gibt statt moderner Einzelradaufhängung antiquierte, aber dafür unverwüstliche Starrachsen und ein Untersetzungsgetriebe, das sich zusammen mit den Differenzialsperren in rumänischen Urwald als unverzichtbar erweist.
Das bring so viel von den maximal 550 Nm auf den Boden, dass sich der Dinosaurier auch durch den dicksten Dreck wühlt. Nur das Sprintvermögen (0 auf 100 km/h in bestenfalls 8,8 Sekunden) und die Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h bleiben hier und heute ungeprüft.
Aufsetzen ohne Murren
Denn viel mehr als 50, 60 km/h sind in den Karpaten selbst auf den wenigen Straßen kaum zu schaffen, vom Gelände ganz zu schweigen. Denn immer wieder kämpft sich der Tross durch knappe Hohlwege oder Bachbetten und gerät dabei nur allzu oft in gefährliche Schräglagen, die der Ineos mit seinem tiefen Schwerpunkt aber ohne Murren meistert. Und natürlich setzt er gelegentlich auch mal auf dem Unterfahrschutz auf, den er wie einen Schildkrötenpanzer am Bauch trägt.
Werkzeugkasten? Kann verschlossen bleiben
Während sich die Teilnehmer spätestens am dritten Tag nach einer Dusche sehnen und einem Bett, ist der Grenadier frisch wie am Start der Rallye: Ein Reifen fällt der Drahtkrampe eines ausrangierten Weidezaunes zum Opfer. Und der etwas zu innige Kontakt mit der Natur hinterlässt ein paar kosmetische Schäden – doch die Kiste mit Werkzeug und Ersatzteilen bleibt bis auf den abendlichen Service geschlossen.
Fazit: Einer fürs Grobe mit Charakter
Einmal tanken und einmal Scheiben putzen, mehr braucht der Ineos deshalb nicht, bevor es zum Endspurt geht. Auch den besteht das Auto mit Bravour. Doch weil es bei solchen Expeditionen nicht nur auf die Maschinen ankommt, sondern auch auf die Menschen und es denen am Ende doch an Erfahrung mangelt, ist das Treppchen in weiter Ferne.
Doch mehr noch als bei Olympia gilt in den Karpaten «Dabeisein ist alles» und irgendwie darf sich am Ende jeder als Sieger fühlen. Erst recht der Grenadier, der näher am Serientrimm ist als alle anderen Autos und trotzdem so tapfer durchgekommen ist.
Klar, der Grenadier ist fast so etwas wie ein fabrikneuer Oldtimer und fährt den vielen SUV bei Komfort und Effizienz weit hinterher. Doch wer seinen Geländewagen wirklich fürs Gelände braucht, der ist mit dem rustikalen Arbeitstier bestens bedient. Und selbst auf der Straße hat Ineos etwas zu bieten, was vielen der modernen Möchtegern-Geländewagen fehlt: Charme und Charakter und nach der Superkarpata auch jede Menge Orden aus Dreck.
Datenblatt: Ineos Grenadier
Motor und Antrieb: | Reihensechszylinder-Diesel |
Hubraum: | 2993 ccm |
Max. Leistung: | 183 kW/249 PS |
Max. Drehmoment: | 550 Nm |
Antrieb: | Allradantrieb |
Getriebe: | Achtgang-Automatik |
Maße und Gewichte | |
Länge: | 4896 mm |
Breite: | 1930 mm |
Höhe: | 2036 mm |
Radstand: | 2922 mm |
Leergewicht: | 2744 kg |
Zuladung: | 756 |
Kofferraumvolumen: | 1152-2035 Liter |
Fahrdaten: | |
Höchstgeschwindigkeit: | 160 km/h |
Beschleunigung 0-100 km/h: | 8,8 Sekunden |
Durchschnittsverbrauch: | 10,5 Liter/100 km |
Reichweite | 890 km |
CO2-Emission: | 263 g/km |
Kraftstoff: | Diesel |
Schadstoffklasse: | EU6 |
Energieeffizienzklasse: | k.A. |
Kosten: | |
Grundpreis des Station Wagon Diesel: | 81 890 Euro |
Typklassen: | k.A. |
Kfz-Steuer: | k.A. |
Wichtige Serienausstattung: | |
Sicherheit: | Sechs Airbags, Tempomat, Bergabfahrhilfe |
Komfort: | Klimaanlage, Sitzheizung, Offroad-Navigation |