Frankfurt/Bischofsheim/Dermbach (dpa/lhe) – Die wachsende Zahl digitaler Outdoortipps sorgt für Konflikte mit Naturschützern. Über Apps und digitale Karten teilen immer mehr Menschen ihre Erfahrungen bei Wanderungen, Sport- und Freizeitaktivitäten in der Natur – und machen sich teils wenig Gedanken darüber, ob ihre Routen durch sensible Schutzgebiete führen und vielleicht illegal sind. Umweltverbände wie der Nabu Hessen sehen das mit Sorge.
Im Biosphärenreservat Rhön im Dreiländereck Bayern, Hessen und Thüringen prüft seit einem halben Jahr Digitalranger Lukas Nietsch virtuelle Tourenvorschläge auf ihre Verträglichkeit mit Naturschutz-Vorschriften und hält Angaben zum Wegenetz in der Region auf dem neuesten Stand. Die Aufgabe sei riesig und für eine Person kaum zu bewältigen, sagt der 29-Jährige. Er arbeitet auf der bayerischen Seite der Rhön. Dort soll er auch Hessen und Thüringen im Blick halten.
Einen großen Bereich seiner Aufgaben machen Community-Routen in gängigen Apps oder sozialen Netzwerken wie Instagram aus. Dabei stellt Nietsch immer wieder Verstöße fest – wenn Mountainbiker etwa verbotene Querfeldein-Routen durch Schutzgebiete empfehlen oder Übernachtungsmöglichkeiten im Camper abseits ausgewiesener Stellplätze gepriesen werden. Damit solch schlechte Beispiele keine Schule machen, setzt Nietsch alles daran, dass sie gar nicht erst ins Netz gelangen. Falls doch, tritt er auch mit den Verfassern in Kontakt, schreibt sie erst einmal freundlich an, veröffentlicht eigene Kommentare, informiert, klärt über die rechtliche Lage auf, appelliert, wirbt um Verständnis.
Auch wenn viele Nutzer sich einsichtig zeigen, hilft sein Eingreifen nicht immer, sagt Nietsch. Ein User habe ihm kürzlich entgegnet, er akzeptiere zwar Verbotsschilder, aber nicht, wenn die seine persönliche Bewegungsfreiheit einschränken. Man könne «Naturschutz auch übertreiben» – eine Denke, die sich leider immer wieder finde. Grundsätzliches Problem sei, dass es bei Verstößen kein wirkliches Druckmittel gebe. Hier wünscht sich Nietsch mehr Unterstützung aus der Politik, damit gesetzeswidrige Touren-Tipps gelöscht oder zumindest kommentierbar gemacht werden können. Manche Anbieter entzögen sich hier ihrer Verantwortung.
Ein Blick auf die reale Welt vor Ort zeigt nämlich, dass schon kleinste Störungen massive Folgen für die Tier- und Pflanzenwelt haben können. Bodenbrütende Vogelarten zum Beispiel kehren nicht mehr zur Brut zurück, wenn sie einmal durch Menschen gestört werden. Für Winterschlaf haltende Tiere können Störungen sogar tödlich enden, weil das Hochfahren der Körperfunktionen Energie kostet und sie in der kalten Jahreszeit dann nicht genügend Nahrung finden.
Das Problem kann auch im Winter auftauchen: «Da das Rhöner Winterparadies viele Schneefans anlockt, die zum Schneeschuhwandern oder zum Langlaufen kommen, ist eine effiziente Besucherlenkung also auch im Winter unverzichtbar», erklärt eine Sprecherin des Biosphärenreservates Rhön.
Um Verstößen möglichst von vornherein einen Riegel vorzuschieben, muss Nietsch schon früh eingreifen: Da viele Plattformen ihre Daten aus Open Street Map, einer Art offenen Weltkarte, beziehen, speist Nietsch neben den Grenzen der Schutzgebiete in der Rhön auch die jeweils geltenden Wegeberechtigungen ein. Die Daten müssen möglichst aktuell sein, damit es gar nicht erst zu unerwünschten Tourenvorschlägen kommt – angesichts des Netzes aus Hunderten Wegen in der Rhön eine Mammutaufgabe.
Auch der Umweltverband Nabu kennt die Probleme mit fragwürdigen Tourentipps im Netz und Outdoor-Fans auf Abwegen. «Der Freizeitdruck auf Schutzgebiete ist besonders in den Ballungsräumen und bei beliebten Ausflugszielen ein Problem», erklärt Berthold Langenhorst vom Nabu Hessen. Zwar hielten sich die meisten Menschen an die Schutzregeln und seien achtsam unterwegs – doch ab und zu weichen Wanderer in der Hohen Rhön und im Vogelsberg von den Wegen ab und laufen direkt über Bergwiesen, die ein wichtiger Lebensraum für gefährdete Wiesenbrüter seien. Probleme mit illegalen Downhill-Routen von Mountainbikern gebe es beispielsweise auch rund um den Feldberg im Hohen Taunus, und auch im Naturschutzgebiet Schwanheimer Düne nahe Frankfurt missachten manche Besucher Hinweisschilder und vorgeschriebene Wege.
Verantwortungsbewussten Internet-Nutzern, die regelwidrige Routenvorschläge finden, rät Langenhorst, selbst tätig zu werden und nicht auf Digitalranger wie Nietsch zu warten: «Sie sollten das den jeweiligen Anbietern melden und auf Änderung der Wanderer-, Geocache- und Mountainbike-Routen dringen.»