Mainz/Hannover (dpa/tmn) – Oliver Meyer schaut mit einem differenzierten Blick auf Sprachlern-Apps. Es sei sehr schwer möglich, ein pauschales Urteil über sie zu fällen. «Weil es ganz stark davon abhängt, was ich mir von dieser App beziehungsweise von dieser Lernsituation verspreche», erklärt der Professor von der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Dort forscht und lehrt Meyer im Bereich Fachdidaktik Englisch.
«Wenn es darum geht, möglichst schnell ein Niveau von A1 oder A2 zu erreichen, bei dem ich viele Vokabeln in kurzer Zeit lernen möchte, um zum Beispiel im Urlaub im Restaurant die Karte verstehen zu können und etwas bestellen zu können – dann ist das mit Sicherheit nichts Schlechtes», so Meyer.
Je weiter man ist, desto weniger helfen sie
Je komplexer es jedoch wird und je weiter man schon mit dem Erwerb einer Sprache fortgeschritten ist (Mittelstufe B1 oder B2 gegenüber Anfänger A1 oder A2), desto eher genüge es nicht mehr, nur direkte Wortentsprechungen zu lernen, erklärt der Professor.
Denn Fremdsprachen lerne man zwar einerseits durch Regeln, wie etwa «he, she, it – s muss mit» und darauf abgestimmte Übungen. Viel entscheidender sei jedoch die Anwendung von authentischer Sprache im Rahmen komplexer, möglichst lebensnaher Aufgaben, sagt Meyer.
Regeln und Anwendung speichere das Gehirn an unterschiedlichen Orten ab. «Das bedeutet, dass ich ganz unterschiedliche Aufgabenformate benötige im Fremdsprachenerwerb, für unterschiedliche Speicherorte», erklärt Meyer. «Damit eine Automatisierung der Sprache erfolgt, braucht es viel Zeit und auch viel Feedback. Und in dieser Komplexität sehe ich das zumindest zurzeit bei keiner App.»
Sprachen lernen dauert seine Zeit
Hinzu komme, dass das Erlernen einer neuen Sprache in der Regel viel Zeit erfordere und man eben nicht nur einmal am Tag in fünf Minuten so nebenbei fließend eine neue Sprache lernen könne. «Das lässt sich leider nicht beschleunigen», sagt Meyer. Es verhalte sich mit dem Lernen von Sprachen genauso wie bei jedem Instrument oder auch jeder Sportart: «Man muss längere Zeit, wenn nicht Jahre trainieren.»
Dorothee Wiegand vom Technik-Fachmagazin «c’t» sieht in ihrer Kontinuität und Flexibilität einen klaren Vorteil von Sprachlern-Apps: «Die Apps erinnern einen daran, dass man heute noch üben wollte. Sie versuchen, den User zu motivieren, und belohnen ihn teilweise mit spielerischen Erfolgserlebnissen oder Urkunden.»
Das Smartphone hat man immer dabei und daher kann man zum Beispiel perfekt Wartezeiten nutzen, um zu üben. «Wenn ich bei einer Behörde warten muss oder beim Arzt, kann ich die Zeit sinnvoll in den Spracherwerb stecken», meint Wiegand. Vor allem eigne sich das Konzept für Pendler, die regelmäßig mit Zug oder Bus zur Arbeit fahren und so jeden Tag Sprachlektionen einschieben können.
Perfekt für unterwegs und Vokabeln
Dies sei schon ein großer Vorteil gegenüber dem Volkshochschulkurs, der mal wieder ausfällt oder zu dem man nicht regelmäßig hingeht, weil das Wetter einem nicht gefällt. Zudem könne man mit den Apps wunderbar Vokabeln trainieren, so Wiegand.
Die allermeisten Apps bieten eine Art virtuellen Karteikasten: Vokabeln, die man gut kann, werden nach hinten gestellt und gelten als gelernt. «Die Vokabeln, die ich noch nicht beherrsche, werden jedoch intensiv bearbeitet», erklärt Wiegand. «Dieses Lernsystem hat sich als sehr effektiv erwiesen.»
Um zu überprüfen, ob eine App für die eigenen Lernzwecke taugt, kann man sie meist zunächst einmal kostenlos ausprobieren, sagt Wiegand. Die Apps unterschieden sich in Details und dann komme es natürlich darauf an, was einem persönlich am meisten liegt.
Erst einmal ausprobieren
Einige gingen sehr spielerisch an das Thema heran, andere eher ernsthafter. Daher rät Wiegand, eine App, die man in die engere Wahl genommen hat, erst einmal auszuprobieren, wirklich damit zu arbeiten und zu schauen, wie es sich damit lernt.
Lernen ist fast immer auch ein sozialer Prozess. «Ich halte dies beim Sprachenlernen für ganz zentral», sagt Prof. Meyer. «Diesen Aspekt versuchen gängige Apps einzubauen, indem man die Möglichkeit gibt, sich mit anderen Usern zusammenzuschalten, um sich zu unterhalten.»
Einige Sprachlernapps vermitteln deshalb auch Live-Unterricht bei einem Muttersprachler, sagt Wiegand. Unterschieden werde zwischen Muttersprachlern ohne Lehrausbildung und ausgebildeten Lehrern, bei denen man über die App Einzel- oder Gruppenunterricht buchen kann.
KI erkennt und verbessert Aussprache
Und es gibt Anwendungen zum Sprachenlernen, die schon falsche Aussprache erkennen und verbessern können, sagt Prof. Meyer. Manche Apps würden sogar ganz konkrete Tipps zur Aussprache geben, etwa, wo genau im Mundraum die Zunge platziert werden muss, um den richtigen Klang zu erzeugen.
Künstliche Intelligenz beeinflusse die Entwicklung der Sprachlern-Apps immer stärker, erklärt Dorothee Wiegand. In Zukunft sei dadurch eine App denkbar, die noch besser in der Lage sein wird, das Sprechen und Hören beim Spracherwerb zu trainieren. «Bis dahin ist momentan jedoch der menschliche Lehrer oder eben ein realer Auslandsaufenthalt oft noch die beste Möglichkeit, eine Sprache wirklich auf hohem Niveau zu erlernen.»