Stuttgart (dpa) – Der Polizeieinsatz geht furchtbar schief. Statt Drogen finden die Fahnder im Stuttgarter «Tatort» 23 Tote in einem Lastwagen auf einem Autobahn-Rastplatz. Die Flüchtlinge waren in Bretterverschlägen erstickt – hätte die Polizei nicht so lange auf die Ankunft von Schmugglern gewartet, wären die Afrikaner gerettet worden. «23 Menschen sind krepiert, während wir 20 Meter entfernt waren», ringt Ermittler Thorsten Lannert (Richy Müller) um Fassung. Zusammen mit seinem Partner Sebastian Bootz (Felix Klare) will er die Verantwortlichen zur Strecke bringen. «Tatort – Im gelobten Land» (Sonntag, 20.15 Uhr) ist ein düsterer TV-Film mit realem Bezug.
Im vergangenen Sommer machte der Tod von 71 Flüchtlingen in einem Lastwagen in Österreich grauenvolle Schlagzeilen. Der «Tatort» nähert sich dem Thema über den fiktiven Fernsehfall an. Die Schleuser seien weltweit vernetzt – «wie Reiseveranstalter», erklärt Staatsanwältin Álvarez (Carolina Vera). «Die haben überall Büros, wo sie Schleusungen nach Europa anbieten, Nordafrika, Syrien, Istanbul.» Nicht nur die Handlanger vor Ort wollen die Ermittler zur Strecke bringen, sondern auch die Hintermänner, «die Bosse der Bosse», wie die Staatsanwältin sagt. Als ominöser Schattenmann wird der Oberboss in einer Szene schablonenhaft in die Handlung eingeführt.
Die Afrikanerin Lela (Florence Kasumba) ist als Flüchtling schon in Deutschland und wartet auf die Ankunft ihrer Familie. Ihr bitteres Fazit über das Gastland in gebrochenem Deutsch: «In Afrika alle glauben, ist Paradies, aber ist nix.» Kulisse für den Großteil des Films sind heruntergekommene Plattenbauten, in denen Flüchtlinge ihr Leben fristen. Dorthin führen die Wege der Menschenschlepper, dorthin irrlichtert Lannert, entschlossen, die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen.
«Tatort»-Macher verpassen der Handlung häufig auch einen privaten Strang: Familienstress oder Eheprobleme sollen Zuschauern alltagstaugliches Identifikationspotenzial bieten. Im Fall der Stuttgarter Kommissare hat sich dies zuletzt erschöpft, nachdem die beiden Kommissare so ziemlich alle möglichen privaten Rückschläge meistern mussten. Eine Stärke des neuen Stuttgarter Krimis ist es, dass der Drehbuchautor, «Tatort»-Routinier Christian Jeltsch, und Regisseur Züli Aladag auf das private Bohey verzichten und sich auf das Flüchtlingsdrama konzentrieren.
Trotz logischer Schwächen – etwa den Schüssen von Kommissar Bootz auf einen Elitekiller in John-Wayne-Manier – ist der «Tatort» überaus sehenswert. Zwischenzeitlich mutiert er zu einem dichten Kammerspiel, wenn Ermittler, Schmuggler und Flüchtling in einem Zimmer eingesperrt sind. Sascha Alexander Gersak spielt überzeugend einen aufbrausenden Schurken mit menschlichen Zügen und voller Zweifel. «Abkassieren, wie erbärmlich», urteilt der Ermittler über die Arbeit des Menschenschmugglers. Die Kriminellen sehen sich hingegen als Gutmenschen: «Wenn wir die Menschen nicht nach Europa holen, kommen sie auf eigene Faust und sterben in der Wüste.»
Schritt um Schritt lösen die Filmemacher den Schwarz-Weiß-Gegensatz von Gut und Böse auf zu Grautönen, in denen alles verschwimmt. Deutschland, dieses titelgebende «gelobte Land» für Flüchtlinge, wird zum Morast. Ein Drogenfahnder zeigt sich kalt und gleichgültig wegen der Toten. Ein hilfsbereiter Dolmetscher verschweigt Wesentliches. Ein schießwütiger Schmuggler rettet Leben. Am Ende steht Kommissar Bootz vor einer Flüchtlingsgruppe. Atemlos sagt er: «Willkommen». Er sagt es so leise, als traue er seinen eigenen Worten nicht – und dem Versprechen, das dieser Willkommensgruß für die erwartungsvollen Flüchtlinge beinhalten könnte.