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Bühne für menschliches Leid

Über 200 000 Bootsflüchtlinge sollen dieses Jahr Italien erreichen - für das Land eine enorme Belastung. Alle Menschen an der Weiterreise nach Norden zu hindern, ist aus Sicht des Migrations-Verantwortlichen Mario Morcone unmöglich. Er warnt vor «nationalen Egoismen».

Rom (dpa) – Für die Bewältigung des Flüchtlingsstroms über das Mittelmeer braucht Europa nach Ansicht von Italiens

Migrations-Chef Mario Morcone «eine wirklich gemeinsame Politik» – ohne Vorwürfe und Egoismus.

Im Interview erklärt der zuständige Abteilungsleiter im Innenministerium, warum Migranten kaum an der Weiterreise Richtung Norden gehindert werden können und was die Ankunft von Zehntausenden Flüchtlingen für Italien bedeutet.

Gibt es eine rote Linie, an der Italien sagen müsste, dass es mit dem Ansturm nicht mehr fertig wird?

Morcone: Ich hoffe nicht, ich denke nicht, wir sind ein Land mit 60 Millionen Einwohnern. Dennoch gilt die größte Angst nicht den Aufnahmekapazitäten, sondern dem Zusammenhalt der italienischen Gesellschaft angesichts einer so beträchtlichen Präsenz und der Instrumentalisierung, die die Politik bei Migrationsthemen oft betreibt. Das alles kann in der Tat eine explosive Mischung sein.

Mario Morcone, der für Flüchtlinge zuständige italienische Politiker (undatierte Aufnahme).

Im vergangenen Jahr kamen 170 000 Menschen nach Italien, in den Aufnahmezentren sollen aber nur rund 76 000 Menschen leben. Wie kann man diese Differenz erklären, wo sind die anderen?

Morcone: Es ist bekannt, dass viele der Flüchtlinge nicht in Italien bleiben wollen. Es ist klar, dass trotz des Versuchs, diese Menschen hier zu halten, es schwierig ist zu verhindern, dass sie versuchen, Verwandte oder Freunde in anderen Ländern zu erreichen.

Vor allem Bayern und Deutschland werfen Italien oft vor, dabei ein Auge zuzudrücken und diese Menschen ausreisen zu lassen.

Morcone: Wir erreichen nichts mit diesem Spiel aus gegenseitigen Vorwürfen. Asylpolitik in Europa bedeutet, eine wirklich gemeinsame Politik zu betreiben, nationale Egoismen aufzugeben und daran zu denken, dass jetzt zwar Italien unter besonderem Druck steht, es in der Zukunft aber auch andere Länder sein könnten.

Viele Abgeordnete und Politiker aus Deutschland reisen nach Lampedusa oder Sizilien. Was denken Sie darüber?

Morcone: Die gesamte Welt reist in den Süden, nach Sizilien, Catania, Lampedusa. Nicht nur die Deutschen, auch die Schweden, Niederländer, Dänen, Franzosen, Briten, sogar Menschen aus Südamerika und Asien. Es wurde eine große Bühne für menschliches Leiden geschaffen.

Wie ist die Situation in den Aufnahmezentren? Es gibt viele Vorwürfe, sie seien überfüllt und die Lebensbedingungen schlecht?

Morcone: Es gibt auch viele Vorurteile. Ich kann auch verstehen, dass ein Eritreer, der in Deutschland Asyl beantragt, erzählt, dass er in Italien misshandelt wurde, weil er in Deutschland bleiben will.

Sind sie besorgt, dass Italien bei der Identifikation der Migranten genauer kontrolliert werden könnte?

Morcone: Wir sind nicht besorgt, im Gegenteil. Wenn unsere deutschen oder französischen Freunde kommen um zu sehen, wie schwierig es ist, den Fingerabdruck eines Eritreers zu nehmen, der nicht in Italien bleiben will, wären wir sehr zufrieden. Wahrscheinlich ist es aus der Ferne schwierig, die Dimensionen einiger Probleme wahrzunehmen.

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