Nürnberg (dpa/tmn) – Die erste Nacht ging gründlich in die Hose. Der Ochsenkopf im Fichtelgebirge, Dauerregen, keine Aussicht auf Besserung. «Wir mussten uns eine Unterkunft nehmen.» Dabei war André Joffroy mit dem Fahrrad losgefahren, um endlich mal weg von allem zu sein. «Das war zu einer Zeit, als mich außenrum alles gestresst hat.»
Nur mit Schlafsack, Zelt und ein paar Wechselklamotten war der Wahl-Franke auf sein Fahrrad gestiegen, um einen Teil der Transost zu fahren. Die Strecke führt von Bayreuth bis ans Schwarze Meer. Nach dem verregneten Start wurde doch noch alles gut. Vier Nächte im Zelt, komplett abschalten und ein «absolutes Gefühl der Unabhängigkeit», wie Joffroy erzählt. «Es war fantastisch.»
André Joffroy ist seit Jahren passionierter Radfahrer, betreibt in Nürnberg ein Geschäft für den Vertrieb von Nabenschaltungen und arbeitet als Manager beim Fahrradimporteur Cosmic Sports. Doch Touren wie diese haben auch ihm eine neue Welt eröffnet. Sie fallen unter den Begriff Bikepacking: Abenteuerradeln mit kleinem Gepäck und Übernachtungen im Freien, bei denen der Weg das Ziel ist.
Einfach anfangen und später optimieren
Vom klassischen Radwandern unterscheidet sich Bikepacking vor allem in der Streckenführung. Neben Straßen und ausgebauten Radwegen können auch Schotterpisten, Waldpfade und Mountainbike-Trails Teil der Route sein. Und dann ist da das Gepäck. Vollgepackte Satteltaschen gibt es nicht, das Nötigste wird so an Rahmen und Lenker verstaut, dass das Rad auch in schwerem Gelände stabil und gut händelbar bleibt.
«Eine Hürde ist, zu denken, ich habe nicht die richtigen Sachen dafür», sagt Joffroy. Anfangen könne man einfach mit dem, was man habe: das alte Zelt und die Isomatte aus der Festivalzeit, Campinggeschirr, eine Taschenlampe. «Das alles mit zwei, drei Bändern am Fahrrad festmachen und raus in den Wald.»
Zum Ausprobieren reicht ein sogenannter Overnighter: Abends los, nach dem Abendessen, eine Übernachtung, am Vormittag zurück.
Den ersten Kontakt mit Bikepacking hatte Joffroy durch Gunnar Fehlau. Der Göttinger hat die Grenzsteintrophy ins Leben gerufen, eine Selbstversorgerfahrt entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Fehlau ist zweiter Vorsitzender des Vereins Bikepacking Deutschland, Buchautor und Gründer des Pressedienst-Fahrrad.
«Für mich ist das eine Kreuzung aus Pfadfindertum und Radsport», sagt Gunnar Fehlau über das Bikepacking.
Die Frage nach dem Nachtlager
Eine Herausforderung ist die Tourenplanung. In Deutschland gibt es, anders als etwa in Schweden, kein Jedermannsrecht. Wildcampen ist also verboten, wenn es vom Waldbesitzer nicht ausdrücklich erlaubt wird.
Das «Betreten der freien Landschaft» ist «zum Zweck der Erholung» laut §59 des Bundesnaturschutzgesetzes zwar generell erlaubt. Ob eine Übernachtung zur Erholung gehört, ist aber Auslegungs- und Ländersache. «Eine Nacht unter freiem Himmel dürfte meist geduldet werden», sagt Anwalt Swen Walentowski. Er empfiehlt trotzdem, vorher beim jeweiligen Forst- oder Naturschutzamt nachzufragen.
Die Eingriffe in die Natur sollten auf jeden Fall minimal sein: Wer nur Schlafsack und Isomatte ausrollt, kein Feuer macht und eventuell eine Zeltplane (Tarp) als Regenschutz spannt, kann eher auf Nachsicht hoffen als jemand, der ein richtiges Zelt aufbaut.
Alternativen sind zum Beispiel Natur-Campingplätze, Schutzhütten, Schullandheime, Bauernhöfe und Sportplätze. Wer vorher anruft oder vor Ort freundlich nachfragt, findet oft ungewöhnliche Übernachtungsmöglichkeiten. Inspiration gibt es auf Webseiten wie www.1nitetent.com, über die Privatleute ihren Garten oder ein Grundstück für ein Nachtlager anbieten.
Praktische Tipps für die Bikepacking-Tour
Ansonsten sollten Anfänger Touren vor allem entlang von Versorgungsmöglichkeiten planen, also Bäckereien, Gaststätten, Supermärkten oder Tankstellen. Bei vorgefertigten Routen, etwa über Outdoor-Apps wie Komoot, sind Läden und Unterkünfte oft als Point-of-Interest hinterlegt. Ein paar Snacks und Getränke sollten Bikepacker zwar immer dabeihaben. Gerade bei Mehrtagestouren ist unterwegs kaufen aber besser als schleppen.
Überhaupt: das Gepäck. Fünf bis zwölf Kilo bringe man am Fahrrad unter, schätzt André Joffroy. Der Schwerpunkt sollte dabei so tief wie möglich liegen. Bikepacker nutzen dafür verschiedene Taschen, von der Rahmentasche, die unter dem Oberrohr befestigt wird, über Lenker- und Gabeltaschen bis hin zur «Arschrakete» – einer Satteltasche, die unter dem Sattel nach hinten ragt.
Die gute Nachricht: «Das Gepäck macht das Fahrrad eher stabiler», erklärt Joffroy. Preislich gibt es große Unterschiede. Eine Rahmentasche kann zwischen 25 und 160 Euro kosten. Praktisch ist auch ein Nabendynamo, über den man Handy und Navi laden kann.
Das Fahrrad selbst sollte zu den individuellen Vorlieben passen. «Ein Rennrad geht irgendwann im Gelände nicht mehr, Mountainbikes sind auf der Straße schlecht», sagt Gunnar Fehlau. Im Kommen sind daher Gravelbikes: Fahrräder, die «ein bisschen alles können».
Aber auch mit normalen Trekkingrädern kann man losziehen, je nachdem, wo und wie lange man fahren möchte. Im Mittelpunkt steht Fehlau zufolge das Erlebnis: «Die Effizienz, mit der ich den Alltag hinter mir lasse, auch bei einem Overnighter, fasziniert mich immer noch.»