Berlin/Düsseldorf (dpa/tmn) – Der Flieger fällt aus, der Zug fährt viel zu spät los, der Fernbus kommt viel zu spät an: Auf Reisen läuft längst nicht immer alles nach Plan. Noch ärgerlicher wird es, wenn es danach auch noch Streit um mögliche Erstattungen und Entschädigungen gibt. Was können Betroffene tun, wenn das Unternehmen bei den Fahrgastrechten blockt? Gleich zum Anwalt oder zur Anwältin gehen?
Eine kostenlose Option, die in solchen Fällen zur Problemlösung beitragen kann, ist vielen nicht bekannt: Schlichtungsstellen. Zeit, das zu ändern. Denn im besten Fall kommt man bei Reiseärger so schnell und vergleichsweise unkompliziert zu seinem Recht.
Wann können Schlichtungsstellen ins Spiel kommen?
Kurzum: Wenn Kunde und Unternehmen bei einem Streitfall nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Das heißt auch, dass es zunächst den Versuch einer Klärung gegeben haben muss.
Wer Probleme mit Bus, Bahn oder Flieger hatte, muss zunächst den Anbieter kontaktieren und versuchen, das Problem auf direktem Weg zu lösen. Kann der Streit so nicht beigelegt werden oder meldet sich das Unternehmen gar nicht – bei Airlines etwa liegt die Frist dafür bei zwei Monaten – kann man sich an eine Schlichtungsstelle wenden.
Was sind typische Schlichtungsfälle bei Reise und Verkehr?
«Die absoluten Klassiker sind Verspätungen und kurzfristige Annullierungen bei Flügen», sagt Christof Berlin, der Leiter der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP). Die zu klärenden Kernfragen seien dann meist: Liegt die Ursache außerhalb des normalen Flugbetriebs und konnte die Fluggesellschaft die Auswirkungen auf die Reisenden vermeiden?
Falls ja, dann gibt es die Ausgleichszahlung, die 250, 400 oder 600 Euro pro Passagier betragen kann. Wenn nein, dann nicht.
Die SÖP ist mit ihren rund 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine der größten deutschen Schlichtungsstellen. 2022 hat sie laut ihrem Jahresbericht rund 30 000 Schlichtungsanträge bearbeitet – in rund 85 Prozent aller Fälle ging es um Flugärger, zwölf Prozent drehten sich um die Bahn. Seltener ging es um Reisen mit Fernbussen oder Schiffen, Ärger mit Reisevermittlungsportalen oder ÖPNV-Probleme.
Letztgenannte stehen bei der Schlichtungsstelle Nahverkehr in Nordrhein-Westfalen in erster Linie auf der Tagesordnung. Ein typischer Streitfall aus deren Arbeit: Jemand wird mit einem ungültigen Ticket erwischt und muss im Zug nachzahlen. «Die Fahrpreisnacherhebung ist bei uns ein Evergreen», sagt Beatrix Kaschel von der Schlichtungsstelle Nahverkehr.
Ein möglicher Streitpunkt zwischen «Schwarzfahrer» und Unternehmen: Funktionierte der Automat zum Stempeln am Bahnsteig wirklich nicht, wie der Kunde behauptete?
Wie finde ich die richtige Schlichtungsstelle?
Der Name verrät es schon, dass die Schlichtungsstelle Nahverkehr in Nordrhein-Westfalen in erster Linie bei ÖPNV-Problemen in NRW hilft. Eine weitere Anlaufstelle bei Ärger mit Öffis gibt es für die Länder Niedersachsen und Bremen – die SNUB – und generell kann bei Nahverkehrsproblemen auch die SÖP kontaktiert werden.
Die SÖP wiederum hilft eben auch bei Ärger mit Airlines oder etwa im Bahn-Fernverkehr weiter. Voraussetzung: Das Unternehmen, mit dem man Probleme hat, muss Mitglied in der SÖP sein, die ein eingetragener Verein ist. In der Mitgliederliste finden sich unter anderen Namen wie Lufthansa, Ryanair, die Deutsche Bahn, Flixbus, verschiedene Fährunternehmen und das Portal «Expedia.de».
«Im Flugbereich decken wir etwa 90 Prozent des für Deutschland relevanten Marktes ab», sagt SÖP-Leiter Berlin. Wenn eine Airline nicht Mitglied in der SÖP ist, bleibt noch die behördliche Schlichtungsstelle Luftverkehr beim Bundesamt für Justiz.
Um sie ins Boot zu holen, ist nach Angaben des Europäischen Verbraucherzentrums entscheidend, dass der Flug in Deutschland gestartet oder gelandet ist. Im Einzelfall könne auch bei anderen Konstellationen eine Schlichtung stattfinden.
Schlichtungsanträge zu Airlines, die in der SÖP Mitglied sind, gibt die behördliche Schlichtungsstelle nach eigenen Angaben unmittelbar zur SÖP ab.
Wie läuft es mit dem Antrag?
Die Beschwerde reicht man am besten online ein – die Schlichtungsstellen haben dafür auf ihren Seiten standardisierte Formulare zum Ausfüllen. Es ist ratsam, diese zu nutzen. So wird oft bereits mit einigen Fragen eine grundsätzliche Prüfung gemacht, ob die Schlichtungsstelle helfen kann. Zudem werden auf diesem Weg auch gleich die benötigen Unterlagen angefragt. Am Ende geht es damit schneller, als wenn man erst anruft oder Mails schreibt.
Und wie geht es dann weiter?
In der Schlichtungsstelle wird der Antrag von Juristinnen und Juristen gecheckt. Ist er zulässig, wird das betroffene Unternehmen um Stellungnahme gebeten. Teils recherchieren die Schlichter selbst noch Fakten rund um den Streitfall. Teilweise geht der Ball noch mal an den Betroffenen zurück, nachdem sich das Unternehmen gemeldet hat – zum Beispiel mit der Frage nach weiteren Nachweisen.
Hat die Schlichtungsstelle schließlich alle nötigen Angaben und Stellungnahmen beisammen, folgt der Schlichtungsvorschlag – in der Regel binnen 90 Tagen. Dies ist die Frist, die das Gesetz vorsieht. Die allermeisten Fälle, von komplizierten Ausnahmen und saisonalen Spitzen abgesehen, könne man innerhalb der Frist abwickeln, sagt SÖP-Leiter Berlin.
Oft dauert es demnach nur wenige Wochen, mitunter auch nur 24 Stunden nach der Antragsstellung des Betroffenen bis zur Lösung. Manchmal liege der Fall eben sehr klar, sagt Berlin dazu. Dann schreibe etwa das Unternehmen direkt nach der Bitte um Stellungnahme: «Okay, wir zahlen, ihr müsst gar nicht weiter prüfen.»
Aber längst nicht immer läuft es so klar ab. Es kann etwa auch sein, dass die Schlichtungsempfehlung lautet, dass das Unternehmen nur einen Teil der vom Betroffenen geforderten Summe zahlen soll.
Wie bindend sind die Schlichtungsvorschläge?
Für beide Seiten sind sie nicht bindend. Das Unternehmen und der betroffene Kunde bekommen den Schlichtungsvorschlag zugeschickt und können diesem zustimmen oder eben nicht. Wer nicht zufrieden ist, dem stehen weitere rechtliche Schritte offen. So ist gut zu wissen: Der Weg zum Gericht ist auch nach einem gescheiterten Schlichtungsverfahren möglich.
Umgekehrt gilt das nicht: Ist ein Verfahren vor Gericht anhängig, kann man dazu keine Schlichtungsstelle mehr anrufen.
Wie hoch ist die Erfolgsquote?
Die SÖP erzielt laut Leiter Christof Berlin in den meisten Fällen eine Lösung. «Unsere Einigungsquote liegt über die Jahre konstant über 80 Prozent, im Moment sogar bei knapp 90 Prozent», sagt er. Bei der Schlichtungsstelle Nahverkehr in Nordrhein-Westfalen liegt die Quote nach Angaben von Beatrix Kaschel bei rund 70 Prozent.
Was kostet eine Schlichtung?
Sie ist bei den aufgezählten Schlichtungsstellen in aller Regel kostenlos. Nur bei offensichtlich missbräuchlich gestellten Anträgen können Gebühren zwischen 25 und 30 Euro fällig werden.
Das Bundesamt für Justiz erläutert auf seiner Website: «Ein Schlichtungsantrag ist missbräuchlich, wenn er einen querulatorischen Charakter aufweist und auch aus Sicht eines Rechtsunkundigen offensichtlich aussichtslos ist.»
Info-Kasten: Schlichtungsstellen
Sie sind eine neutrale Instanz, um Verbraucherinnen und Verbrauchern zu helfen, bei Streitigkeiten mit Unternehmen außergerichtliche Lösungen zu finden. Der offizielle Begriff für sie in Deutschland lautet «Verbraucherschlichtungsstellen». Diese müssen vom Gesetz her bestimmte Anforderungen hinsichtlich von Fachwissen, Unparteilichkeit, Unabhängigkeit und Transparenz erfüllen sowie bei den Schlichtungsverfahren einen geregelten Ablauf einhalten.
Neben den Schlichtungsstellen rund um den Personenverkehr gibt es unter anderem im Finanz-, Energie- und Versicherungssektor entsprechende Anlaufstellen. Das Bundesamt für Justiz hat alle Verbraucherschlichtungsstellen online aufgelistet.