Der Moment, als der Amberger Siegfried Schröpf sein “Sabbat-Jahr” – in der Tora ein Ruhejahr für das Ackerland, heute die Auszeit für gestresste Zeitgenossen – in Chile antrat, könnte nicht besser gewählt sein.
Unglaubliche Dramaturgie
Schließlich geht gerade eine Prophezeiung in Erfüllung: “Sie sollen wissen, dass sich eher früher als später erneut die großen Straßen auftun werden, auf denen der würdige Mensch dem Aufbau einer besseren Gesellschaft entgegengeht”, hatte der frei gewählte Präsident in seiner letzten Ansprache versprochen. “Das sind meine letzten Worte. Ich habe die Gewissheit, dass es zumindest eine moralische Lektion sein wird, die den Treuebruch, die Feigheit und den Verrat strafen wird.”
Die Dramaturgie für die bevorstehende Stichwahl um das Präsidentenamt könnte aus der Feder von Isabel Allende, der Nichte des linken Idols, stammen: Mit der Sozialistin Michelle Bachelet (62) und der Konservativen Evelyn Matthei (60) standen sich zwei Welten gegenüber, die schicksalsträchtig ineinander verwoben sind. Die Väter beider Frauen waren als hohe Militärs befreundet, die Familien besuchten sich gegenseitig – bis Bachelet, der loyale Allende-Anhänger nach dem Putsch in Pinochets Foltergefängnis landete, wo Matthei Geständnisse erzwang. Zwei Todfeinde also, könnte man meinen, zumal Bachelet diesen Ort nicht mehr lebend verlassen sollte. Dennoch, in Südamerika ist nichts eindeutig. Später sollte Matthei der Familie Bachelet die Rückkehr nach Chile ermöglichen.
“Das kann an der Diktatur liegen”
“Die Leute sind hier oft recht unselbstständig”, beschreibt Schröpf seinen Eindruck nach einem knappen halben Jahr in der Hauptstadt Santiago, “das kann an der Diktatur liegen”. Anders als Spaniens düstere Franco-Jahrzehnte werde das dunkelste Kapitel der Chilenen aber aufgearbeitet: “Das ,Museo de la Memoria y los Derechos Humanos” ist an prominenter Stelle positioniert und setzt sich sehr intensiv mit den Folgen der Militärdiktatur auseinander.”
Das Duell Bachelet gegen Matthei sei dennoch keine rückwärtsgewandte Auseinandersetzung: “Ein Großteil der Gesellschaft ist durch die horrenden Bildungskosten ausgeschlossen”, erzählt Schröpf, dessen Frau Brigitte als Lehrerin an der Deutschen Schule der Stadt hautnah die Probleme mitbekommt. “Über die Hälfte der Schüler sind an teuren Privatschulen angemeldet, sie allein garantieren später den Zugang zu Universitäten und Karrieren.” Studentenproteste gegen den Ausschluss großer Teile der Bevölkerung sind die Folge. “Auch ein Grund dafür, dass die linke Kandidatin am Sonntag mit Unterstützung der Studenten klar die Stichwahl für sich entschieden hat.”
Die Idee, ein Jahr in Südamerika zu verbringen, keimte, als das Paar vor zwei Jahren Sohn Benedikt besuchte, der nach dem Abitur ein Praktikum im peruanischen Waisenhaus Cusco absolvierte. “Wir waren beide so begeistert, dass meine Frau sagte, sie könne sich gut vorstellen, auch mal ein Jahr hier zu arbeiten”, sagt der Geschäftsführer von Grammer-Solar und ergänzt augenzwinkernd: “Ich habe als braver Ehemann natürlich ,Si” gesagt.” Brigitte Schröpf bewarb sich in der Folge an Schulen in Süd- und Mittelamerika. “Es wurde Santiago, weil Chile wahrscheinlich das stabilste und sicherste Land der Region ist – auch um ein Solarunternehmen aufzubauen.”
Der Läufer beschleunigt
Apropos Sabbat-Jahr: “Das war eine schöne Idee, mal ein oder zwei Schritte langsamer zu machen”, grinst Sigi Schröpf. “Aber um ehrlich zu sein, habe ich gerade mal mein neues Buch hier überarbeitet (siehe Kasten) und mich ansonsten in neue Projekte gestürzt.” Der leidenschaftliche Läufer hat sogar noch etwas Tempo zugelegt: “Ich habe allein im Laufe der letzten Woche acht Auswärtstermine bei Firmen wahrgenommen – alle bis auf einen auf Spanisch. Das ist noch anstrengender als zu Hause.”
Die Sprache Cervantes und Lorcas hat sich der Diplom-Volkswirt vor acht Jahren mit CDs selbst beigebracht, als sein Unternehmen eine Niederlassung in Valencia eröffnete. “Als ich hier ankam, habe ich nichts verstanden, chilenisch ist eine echte Herausforderung.” Jetzt, nach vier Monaten und beinahe jedem Vormittag in der Sprachschule komme er ganz gut zurecht.
Vorsichtig optimistisch
Die Erfolgsaussichten für seine Branche schätzt der Oberpfälzer im sonnenreichen Chile vorsichtig optimistisch ein. “Der Markt wird hier sehr hoch gepriesen, das Interesse ist da, aber es fehlen noch die Vorbilder.” Die Situation erinnere ihn an Deutschland vor 20 Jahren. Jetzt ist Schröpf erst einmal dabei, ein Büro anzumieten und eine Mitarbeiterin einzuarbeiten. Wenn er in acht Monaten wieder abreise, möchte er einen funktionierenden Kern hinterlassen. “Für ein Unternehmen macht es Sinn, weiter zu blicken”, sagt er mit Blick auf die Unwägbarkeiten des Schicksals der Energiewende in den Händen der deutschen “GroKo”.
Die 6,5-Millionen-Einwohner-Metropole Santiago gliedert sich in recht überschaubare 36 Viertel, fast so eine Art Berliner Kieze. “Es gibt in der Stadt eine unsichtbare Trennlinie zwischen reichem, grünem, bewässertem Norden und dem armen Süden.” Die Schröpfs wohnen in der Communa Providencia, einer Hochhaus-Siedlung im Norden, wo der Mittelstand zu Hause ist. “Es ist hier wie in einem lichten Wald”, beschreibt der Romanautor die Atmosphäre, “am Hügel wachsen Eukalyptusbäume, es duftet jetzt überall nach Frühling.” Temperaturen um die 30 Grad seien im Sommer normal, auf Regen warte man seit drei Monaten vergeblich. “Von unserer Wohnung aus sieht man auf die Bergkette der Cordilleren. Die waren bei unserer Ankunft im August, dem chilenischen Winter, noch weiß.”
Kommen sie wirklich zurück?
Am sozialen Leben nehmen die Amberger fleißig teil: “Du nimmst hier viel mehr Möglichkeiten wahr”, sagt der Psychologe, “Einladungen von Brigittes Lehrerkollegen, Bekannte vom Sprachkurs und berufliche Kontakte.” Obwohl die Chilenen überaus gastfreundlich seien und Deutsche ohnehin einen Stein im Brett hätten, kämen die meisten neuen Freunde aus Japan, Frankreich oder Spanien. “Mir kommt”s ein wenig vor, wie zu Beginn meiner Studentenzeit”, lacht Schröpf. Und fast alle glauben nicht so recht an die Abreise der Deutschen: “Alle sagen immer, ,wir haben uns auch gedacht, wir bleiben ein Jahr – jetzt sind wir schon das 16. Jahr hier”.” Für eingefleischte Amberger ist das aber keine Option.