Ratgeber

Äpfel statt Tulpen: Im Obstgarten der Niederlande

Buren/Ommeren (dpa/tmn) – Meester Kees weiß alles und noch viel mehr über die Apfelbäume in der Betuwe – eben ein Meister seines Fachs. Mit Besuchern kurvt der Siebzigjährige durch die Obstplantage seines Cousins in der Nähe des Dörfchens Ommeren.

Elstar-Express nennen die beiden das Gefährt, mit dem Kees de Jong die Touristen transportiert. Wobei Express dick aufgetragen ist, denn der pensionierte Schuldirektor tuckert mit Traktor und Anhängern allenfalls im Schritttempo an den Baumreihen entlang. Zweimal pro Woche macht er das, donnerstags und samstags, bis Ende September und dann ab Mai wieder.

Während der Trecker-Tour beantwortet Meester Kees die Fragen der Mitfahrenden: Wie kommt die rote Farbe auf die Äpfel? Der Wechsel zwischen Tag- und Nachttemperatur ist dafür verantwortlich. Wie viel Wasser benötigt jeder Apfelbaum an einem heißen Sommertag? Bis zu fünf Liter, die durch Rohrleitungen in die Baumreihen fließen.

Kernobst statt Käse und Tulpen

Über den Obstanbau in der Betuwe wüssten Besucher oft wenig, sagt Cousin Kees van Blyderveen. «Das wollen wir mit unseren Touren ein wenig ändern.» Das nötige Know-how dazu hat auch van Blyderveen allemal. Er ist Herr über Millionen Äpfel und einer der wichtigsten Obstgroßhändler in den Niederlanden, die viele Menschen mit Tulpen und Käse verbinden, nicht aber unbedingt mit Mengen von Äpfeln. 

Wer Myriaden an Tulpen sehen will, fährt zur Blüte im Frühjahr zum Keukenhof in Südholland, wo man Jahr für Jahr zur Vorbereitung der bunten Pracht Abermillionen von Zwiebeln in die Erde steckt. Die Käsehochburgen liegen in Alkmaar, Gouda und Edam. Außerdem auf den Käsebauernhöfen im Groene Hart. Das «Grüne Herz» zwischen Utrecht und Den Haag gilt als eine der wichtigsten Käseregionen. Das sind alles auch touristisch frequentierte Spots.

Doch die Betuwe, Zentrum des Obstanbaues in den Niederlanden, ist für viele Urlauber ein weißer Fleck. Sie rauschen oft auf den Autobahnen durch in die beliebten Nordseebäder Nordwijk, Katwijk und Co. – und sehen nicht viel vom dank Kleiboden fruchtbaren Landstrich westlich von Arnheim in der Provinz Gelderland.

6.000 Jahre alte Äpfel

In der Betuwe gibt es seit mehr als 100 Jahren Obsthöfe. «Hier wurden schon Reste von Äpfeln gefunden, die waren nachweislich 6.000 Jahre alt», sagt Marc André de la Porte. Der 53-Jährige ist Vorsitzender des regionalen Obstbauern-Verbandes in den Provinzen Gelderland und Utrecht.

Heutzutage bauen nach seinen Worten schätzungsweise 300 Obstbauern auf ihren Ländereien Äpfel, Birnen und Kirschen an. Unter den Apfelsorten steht Elstar mit über 35 Prozent Anteil an der Spitze. Wo früher große, einzelne Bäume standen, bildet heute Spalierobst scheinbar endlose Reihen.

Mehr als 300 Obstbäume, darunter etwa die alten Apfelsorten Sternrenette und Gravensteiner, hat der Hotelier Floris Peters in seinem über vier Hektar großen Nationalen Fruitpark (Obstpark) in Ochten angepflanzt. Der 59-Jährige will damit auf die Bedeutung der historischen Obstsorten hinweisen. 

Durch den Obstgarten der Niederlande reist es sich angemessen nicht nur an Bord von Meester Kees’ Traktor, sondern auch im Fahrradsattel. Zum Beispiel auf der Route zwischen Geldermalsen und Leerdam, die 46 Kilometer misst und damit gut für eine entspannte Tagestour ist.

Die ebene Rundstrecke folgt dem sanft dahin strömenden Linge-Flüsschen, das sich wie ein blaues Band kurvenreich durch das Obstland windet. Der etwas mehr als 100 Kilometer lange Wasserlauf ist der einzige Fluss, der ausschließlich durch die Niederlande fließt.

An Pflücktagen selbst ernten

In verträumten Dörfern lehnen sich schmucke Häuschen an aufragende Flussdeiche, schmal sind die Straßen und kurvenreich wie die Linge. Links und rechts prunken Apfelbäume zur Saison ab April mit verschwenderischer Blütenpracht, ausgerichtet in Reih und Glied. Trefflich heißt der Radweg beim Dörfchen Tricht «Appeldijk». 

Geerntet wird das Kernobst in Spätsommer und Herbst. An Pflücktagen kann man als Gast in der Region Betuwe selbst die Früchte vom Baum holen oder sie beim Bauern kaufen. 

Oder man deckt sich in Hofläden mit Marmeladen und Obstsäften ein, möglich etwa am noblen Landgut Marienwaerdt, wo wir einen Zwischenstopp einlegen. Wer möchte, kann dort über Nacht bleiben, denn das herrschaftliche Anwesen mit 900 Hektar Land und historischen Gebäuden ist heute auch eine Bed and Breakfast-Unterkunft. 

Thematisch passende Wegzehrung für Radler bietet auch das Restaurant «De Stapelbakker», wo köstliche Apfelkuchen auf den Tisch kommen. Appelgebak met Slagroom (Schlagsahne) gilt als eine der wichtigsten Kuchenspezialitäten in den Niederlanden.

Abstecher in die niederländische Vergangenheit

Und das kleine Fährboot «Marietje» gehört zum Landgut. «Fährmann, hol‘ über», heißt es für Jaap van Kranenburg, wenn Radelnde am Marienwaerdter Ufer die Glocke läuten. Dann kreuzt der 75-Jährige über die Linge und bringt Wanderer und Radler übers Wasser – nahezu lautlos dank nachgerüstetem Elektromotor.

Ortswechsel, von den hohen Deichen tief in die niederländische Vergangenheit nach Buren, eine gute halbe Stunde mit dem Fahrrad entfernt. Als «Perle der Betuwe» wird der Ort auch bezeichnet. Verträumte Gassen, jahrhundertealte Häuserzeilen mit viel Blumenschmuck machen den Charme des mittelalterlichen Buren aus, das bereits im Jahr 1395 Stadtrechte bekam.

Vor fast 500 Jahren gaben sich Willem van Oranje, der Vorfahr des heutigen Königspaares, und Anna van Buren in der Lambertuskirche das Jawort. Als Staatsmann und Feldherr befreite er das Volk von der spanischen Besatzung, was zur Unabhängigkeit der nördlichen Provinzen der Niederlande führte und ihm den Ehrentitel Vater des Vaterlandes brachte. Seit dieser königlichen Hochzeit gilt Buren als Oranierstadt und kann sich mit dem Königshaus verbunden fühlen.

«Alle Wege sind kurz», sagt Elisabeth Le Belle, Stadtführerin in Culemborg am Lek, das wegen des für Autos gesperrten mittelalterlichen Stadtkerns und des spätgotischen Rathauses aus dem 16. Jahrhundert auf Radtour durch die Betuwe ebenfalls einen Schlenker wert ist. «Bei uns ist es gemütlich und ganz ohne Hektik.»

Wer dann aber doch noch etwas vom Käseland erleben möchte, hat es auch bis nach Leerdam, ebenfalls an der Linge gelegen, nicht weit. Und selbst bis Gouda sind es nur 60 Radkilometer. 

Links, Tipps, Praktisches:

Reiseziel: Die Betuwe ist eine Region in der niederländischen Provinz Gelderland. Der Landstrich liegt westlich von Arnheim zwischen den Flüssen Nederrijn und Lek sowie Waal. Die Betuwe zählt zu den fruchtbarsten Regionen in den Niederlanden.

Anreise: Mit dem ICE etwa von Frankfurt über Köln nach Arnheim, dort gibt es Regionalverbindungen, zum Beispiel nach Culemborg oder Geldermalsen. Mit dem Auto fährt man nach Geldermalsen ab Köln etwa zweieinhalb Stunden, ab Berlin siebeneinhalb, ab München achteinhalb Stunden.

Reisezeit: April bis Oktober. Im April ist Obstbaumblüte; die Apfelernte beginnt im Spätsommer. 

Unterkünfte: In der Gegend gibt es mehr Bed and Breakfast-Unterkünfte als Hotels, teils kann man auf Obstbauernhöfen schlafen. Die Übernachtung im Doppelzimmer im «De Neust» auf dem Landgut Marienwaerdt kostet rund 130 Euro, im «Hotel Buren» in Buren ab 110 Euro. In Ochten ist ein Hotel Teil des Friutpark.

Touren: Es gibt ein dichtes Netz von Radrouten auch abseits verkehrsreicher Straßen. Man radelt nach Ziffern von Knotenpunkt zu Knotenpunkt im Fietsknotenpunkt-System.

Weitere Auskünfte: www.echt-betuwe.de; Infos speziell zur diesjährigen Erntewoche in der Betuwe, die zum Beispiel mit einer Obstparade gefeiert wird, finden sich hier.

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