Deutschland

TV-Tipp: Nervöse Republik

Wie glaubwürdig sind die Medien? Wie nah ist das Verhältnis von Journalisten und Politikern? Und wie geht man mit der AfD um, die sich oft in der Opferrolle sieht, obwohl sie selbst ganz schön austeilt?

Berlin (dpa) – Mit einem sonoren «Plopp» fällt die Tür der gepanzerten Limousine zu. Bundesinnenminister Thomas de Maizière fährt zu einem Termin. Er greift in eine große Plastikdose mit Süßigkeiten, steckt sich ein Weingummi in den Mund. Vielleicht hätte er auch noch ein zweites oder drittes Stück genommen, wäre da nicht die Kamera auf dem Beifahrersitz.

Nach dem Angriff mit einer Sahnetorte sitzt die Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke im Bundestag, Sahra Wagenknecht am 28.05.2016 beim Bundesparteitag der Partei Die Linke in Magdeburg (Sachsen-Anhalt) auf ihrem Platz. Die Szene wird auch in der Dokumentation «Die nervöse Politik» über Politiker und Politikjournalismus im Jahr 2016 am 19. April im Ersten gezeigt.

Diese Szene ist vielleicht der menschlichste Moment in «Nervöse Republik», einem 90-minütigen Dokumentarfilm über die hektische und sonst eher steril wirkende Welt der Bundespolitiker und Politik-Journalisten. Der Film von Stephan Lamby, den das Erste an diesem Mittwoch (19. April, 22.45 Uhr) ausstrahlt, taucht ein in einen Berufsalltag der eng getakteten Termine. Die Währung in dieser Welt ist Aufmerksamkeit. Was heute wichtig ist, interessiert allerdings in der nächsten Woche oft schon niemanden mehr.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird von «Wutbürgern» angepöbelt. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) und Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) schallt ein mehrstimmiges «Hau ab» entgegen. Ein Verteidiger der «Willkommenskultur» wirft der Fraktionschefin der Linken, Sahra Wagenknecht, eine Torte mitten ins Gesicht. Das Auto von AfD-Chefin Frauke Petry brennt. Es ist 2016, ein Jahr in dem Flüchtlinge, Terroranschläge, der Brexit, die Suche der SPD nach dem richtigen Kanzlerkandidaten und die Erfolge der AfD bei mehreren Landtagswahlen alte Gewissheiten erschüttern. 

Die Welt der Politiker und Journalisten, sie wirkt in Lambys Film unpersönlich und glatt. Überall die gleichen Konferenztische, Smartphones, Charts. Männer mit dünnen Oberarmen und Hipster-Brillen stecken vor Monitoren die Köpfe zusammen. Oft spürt man, wie sie die Aufregungswellen genießen, die sie produzieren. Doch manchmal wirken sie auch selbstkritisch, verloren, ratlos – wie nach der Brexit-Entscheidung.

Youtube-Video: Diskussion zum Film mit (r-l.) Autor und Journalist Stephan Lamby, SPD-Generalsekretärin Katarina Barley, CDU-Generalsekretär Peter Tauber, Moderatorin Anne Will, AfD-Vorsitzende Frauke Petry und Sahra Wagenknecht, Linke-Fraktionschefin im Bundestag.

Die Kamera kommt den Protagonisten dieses Films sehr nahe. Man sieht Zungen, die nervös die Lippen benetzen und Augen, die nicht mitspielen wollen, wenn sich der Mund zu einem gekünstelten Lächeln verzieht. Lamby hat de Maizière und Wagenknecht begleitet, er hat Parteitage besucht, hat lange mit der AfD-Chefin Petry gesprochen. Er hat die SPD-Generalsekretärin Katarina Barley und CDU-Generalsekretär Peter Tauber beobachtet, wie sie die Ergebnisse der Landtagswahlen analysieren und den Journalisten von «Spiegel» und «Bild» über die Schultern geschaut.

Es sei ihm nicht um die Ereignisse an sich gegangen, sagt Lamby, sondern «um die mediale Aufbereitung». Als Kämpfer in vorderster Reihe im Ringen um Wahrheit und Wahrhaftigkeit taucht im Film ein Reporter der «Sächsischen Zeitung» auf. Der Journalist aus dem Geburtsort des fremdenfeindlichen «Pegida»-Bündnisses ist der heimliche Held dieses Films. Furchtlos und mit bewundernswerter Geduld erklärt er auf der Straße einem mürrischen Verschwörungstheoretiker, wie Medien funktioneren. Er sagt, dass er sich von keinem Politiker sagen lasse, was er zu schreiben habe. 

Die Berliner Hauptstadtjournalisten erreicht der «Lügenpresse»-Vorwurf meist nicht so hautnah, sondern eher in Form von Hass-Botschaften per Mail, Telefon, in sozialen Netzwerken oder über die Kommentarfunktion der Website ihres Mediums. Als Thomas de Maizière darauf angesprochen wird, dass ja nicht nur Politiker, sondern auch Journalisten gelegentlich angefeindet würden, sagt er: «Da ist mein Mitleid begrenzt.» Der Minister darf schon seit Jahren immer wieder über sich lesen, er habe sich mit seinem bürokratenhaften Auftreten den Spitznamen «Büroklammer» verdient. Er sagt, er finde, «dass Journalisten mimosenhafter sind im Aushalten von Kritik als wir Politiker».

Stephan Lamby ist ein interessanter Blick hinter die Kulissen des Polit-Betriebs gelungen. Über das, was die Protagonisten dieses Milieus tun, wenn ihre langen Arbeitstage zuende sind, erfährt man nichts. Vielleicht auch, weil alle, die dazugehören, zu sehr Profis sind, um solche Einblicke zu erlauben. Zum Schluss bleibt die Erkenntnis: Ganz so nervös wie 2016 ist die Bundesrepublik im Frühjahr 2017 schon nicht mehr. 

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