Berlin (dpa/tmn) – Kreativ sollen und wollen wir heute alle sein, im Job genauso wie in der Freizeit, der Persönlichkeitsentwicklung und in unseren Beziehungen. Doch was bedeutet «kreativ» genau? Es kommt vom lateinischen «creare», «schaffen, erschaffen, erzeugen». Das ist die Fähigkeit eines Individuums oder einer Gruppe, in fantasievoller und gestaltender Weise zu denken und zu handeln. Also Ideen zu haben und natürlich am besten auch umzusetzen.
Aha. Und wie setzen wir solche schöpferischen Prozesse in Gang? Zwei ExpertInnen erklären, wie wir unser kreatives Potenzial neu denken und entfalten und Blockaden lösen können.
Grundsätzlich gilt: «Natürlich sind alle Menschen kreativ», sagt Traugott Haas, wissenschaftlich-künstlerischer Mitarbeiter im Studienfach Designpädagogik an der Universität Vechta. «Denn wären wir es nicht, wären wir gar nicht überlebensfähig.» Immer wieder brauchen wir neue Lösungen, müssen uns anpassen. Das Potenzial ist also da, ausschöpfen muss man es allerdings selbst, und das ist nicht immer einfach.
Kreativitätskiller Stress
Die meisten Menschen seien heutzutage viel zu gestresst, um kreativ zu werden, so Stella Schüler, Game-Designerin und Kommunikationsstrategin. Denn «in Krisen oder Stresszuständen wechselt unser Gehirn in eine Art Panikmodus, auch Kampf-oder-Flucht-Reaktion genannt», so die Kommunikationstrainerin. Das gelte für die Arbeitswelt genauso wie angesichts globaler Entwicklungen und Krisen. «Gehirnareale, die für konstruktive Kommunikation, Empathie oder auch Kreativität zuständig sind, werden in Stresszuständen blockiert, weil ihre Aktivität nicht mehr (überlebens-)notwendig ist.» Kreativ sind wir in diesem Zustand kaum, weil andere Dinge im Vordergrund stehen.
Deswegen gehe es erst einmal darum, für uns oder andere psychologisch sichere Räume zu schaffen und offenzuhalten, in denen sich Kreativität überhaupt erst entfalten kann, so Schüler.
Entspannt zur Idee
Wenn wir unsere schöpferische Kraft erkunden und entfalten wollen, helfen Entspannung und Achtsamkeit: «Um in einen kreativen Bewusstseinsmodus zu gelangen, können Entspannungstechniken wie Yoga, Brainwriting, routinemäßige Spaziergänge in der Natur, aber auch Sport helfen», sagt Schüler, die auch als Entspannungstherapeutin arbeitet.
Es müsse gar nicht immer so kompliziert sein, sagt sie. «Und es mag pathetisch klingen, aber in den Park oder Wald zu gehen und sich unter einen Baum zu legen, um das Wind-, Licht- und Schattenspiel in den Blättern zu beobachten, ist für viele enorm augenöffnend.» Oder anderes gesagt: Die Wahrnehmung kann inspirierend wirken. «Wenn man raus in die Welt blickt, ist alles durchströmt von Schöpfung und Kreativität.»
Stichwort Rituale und Routinen: Das klingt erst einmal gar nicht kreativ. Aber: Wenn man Verhaltensweisen ritualisiert, kann das entspannend wirken. «Rituale sind Entscheidungen, die wir irgendwann getroffen haben und die unser Verhalten dauerhaft bestimmen», sagt Schüler. Wer sich beispielsweise seit Jahren vegetarisch ernährt, denkt darüber gar nicht mehr nach.
«Auch wenn wir das nicht jeden Tag so denken, wiederholen wir bei einem Ritual oder einer Routine im Grunde immer wieder dieselbe Entscheidung. Wir richten uns nach dieser Entscheidung aus und entlasten damit unser Gehirn.» Wir schaffen Platz für neue Gedanken. Im Alltag und beim Aufbau kreativer Routinen wirkt das wie eine Stütze. Denn die Versenkung in den kreativen Prozess ist ohne ein gewisses Maß an Sicherheit nicht möglich.
Am Anfang steht die Frage
Als ersten Schritt im kreativen Prozess rät Schüler, eine Frage zu formulieren. Dabei gehe es nicht darum, gleich die richtige Antwort zu finden, sondern darum, erst einmal die Frage zu senden, sich für einen Sachverhalt zunächst einmal überhaupt empfänglich zu machen. Am besten eigneten sich dafür offene Fragen, die sich nicht mit Ja oder Nein beantworten lassen, denn diese regten ein freieres Denken an.
Und eine andere wichtige Frage ist Traugott Haas zufolge die, ob man Kreativität bei sich selbst und anderen, beispielsweise auch bei Kindern, zulasse. Dazu gehöre die sogenannte Ambiguitätstoleranz, also die Fähigkeit, mehrdeutige oder widersprüchliche Sachverhalte oder Situationen ertragen zu können.
Der Designpädagoge weist darauf hin: «Man kann Kreativität unterschiedlich definieren. Es gibt ein kreatives Produkt, die kreative Persönlichkeit, eine kreative Umgebung und den kreativen Prozess.» Das kann alles gemeinsam auftreten oder gegensätzlich zueinander stehen, wenn sich beispielsweise eine kreative Person in einem unkreativen Umfeld bewegt.
Laut dem deutschen Psychoanalytiker Rainer Holm-Hadulla lässt sich Kreativität auch mit dem Divergenz-Konvergenz-Modell veranschaulichen. Konvergentes Denken ist konformes Denken, also angepasst. «Divergenz ist das Gegenteil, wenn man die Pferdchen sozusagen laufen, die Gedanken fließen lässt», erklärt Haas. Und Kreativität heiße eigentlich beides: das Schwingen zwischen diesen beiden Polen. «Kreativ ist also jemand, der in der Lage ist, einerseits sehr abstrakt zu denken, andererseits dies aber auch wieder auf etwas Konkretes zurückführen kann.»
Beschränkungen können beflügeln
Konkret sind auch die Tipps des britischen Designers und Autors Anthony Burrill. Er rät unter anderem: Arbeite mit dem, was du hast. Kreativität brauche kein teures Equipment. «Es geht darum, clever mit dem, was vorhanden ist, umzugehen.» Einschränkungen könnten auch ein Vorteil sein: Wenn man sich selbst einschränkt, gibt man seiner Kreativität mehr Raum zur Entfaltung.
Und natürlich: Smartphone weglegen und bestimmte Zeiträume pro Tag festlegen, in denen man Mails und Social Media checkt. So bleibe man fokussiert und ordne seinen Tagesablauf und den schöpferischen Prozess nicht Online-Aktivitäten unter.
Vielleicht auch noch eine Inspiration: «Man kann Kreativität nicht aufbrauchen», so die US-Schriftstellerin Maya Angelou: «Je mehr man sie nutzt, desto mehr hat man.»