Stralsund (dpa/mv) – Rund 30 Touristen gehen von Bord der «Seeadler» und stapfen erwartungsfroh über die kleine Insel Oie an der Grenze von Greifswalder Bodden und offener Ostsee. Das Ziel des Ausflugs kommt schon bald in Sicht: Einige Dutzend Kegelrobben liegen faul auf großen Steinen im flachen Wasser vor dem Ufer. Ihre Rufe, mit denen sie sich untereinander verständigen, schallen herüber. Von den Zweibeinern am Strand nehmen sie kaum Notiz.
Das größte deutsche Raubtier ist ein Touristenmagnet an der vorpommerschen Küste. Jetzt, in der Hochsaison, fahren täglich Ausflugsschiffe zu den Liegeplätzen hinaus. Sie starten zum Beispiel von der Insel Usedom. Das Schauspiel, das die Touristen erleben können, ist noch jung in Mecklenburg-Vorpommerns Gewässern. Die Rückkehr der Ostsee-Kegelrobben begann dort in den frühen 2000er Jahren. Im vergangenen Jahr zählten Wissenschaftler im Jahresschnitt 150 Tiere in den Küstengewässern des Landes, die meisten in Vorpommern.
Für Meeresbiologin Linda Westphal vom Deutschen Meeresmuseum in Stralsund ist die Rückkehr der Kegelrobben eine Erfolgsgeschichte des Naturschutzes. Nachdem es um das Jahr 1900 in der gesamten Ostsee etwa 100 000 Kegelrobben gegeben habe, sei das Raubtier im 20. Jahrhundert dort beinahe ausgerottet worden, erzählt sie. «In den 1980er Jahren gab es nur noch wenigen Tausend Tiere.» Die meisten seien erlegt worden, weil sie von der Fischerei als Konkurrenten gesehen wurden. Aber auch Chemikalien, die später verboten wurden – etwa DDT – hätten zur Dezimierung der Bestände beigetragen. Sie hätten die Fruchtbarkeit der Kegelrobben verringert.
Seit den 1980er Jahren habe ein Umdenken eingesetzt, sagt Westphal. «In den letzten Jahrzehnten hat es eine riesige positive Entwicklung gegeben.» Kegelrobben würden nicht mehr gejagt und auch die Fischerei habe Maßnahmen zum Schutz der Meeressäuger ergriffen. So seien Eingänge von Reusen im Greifswalder Bodden verkleinert worden, damit Robben dort nicht mehr hineinschwimmen und ertrinken.
«Die Rückkehr der Ostsee-Kegelrobbe zeigt, dass es möglich ist, dass sich Natur mit strikten Maßnahmen und entschiedenem Wollen der Menschen erholen kann», bilanziert die Forscherin. Heute gebe es in der Ostsee wieder mehr als 40 000 Kegelrobben. Das gelte allerdings noch nicht als guter Erhaltungszustand, da die Verteilung innerhalb der Ostsee sehr unterschiedlich sei.
Zweimal im Jahr werden die Kegelrobben in der Ostsee gezählt. Dann überfliegt ein Kleinflugzeug mit Wissenschaftlern an Bord die Küsten, berichtet Westphal. Die Zahl der Liegeplätze an der deutschen Küste sei noch überschaubar: die Untiefe Großer Stubber und die Insel Greifswalder Oie im Greifswalder Bodden sowie die Sandbank Lieps in der Wismarbucht. Dieses Jahr sei neu die Insel Ruden im Greifswalder Bodden hinzugekommen.
Bei den Kegelrobben, die sich auf den Steinen vor dem Strand der Greifswalder Oie ahlen, handelt es sich nach Westphals Worten vorrangig um jüngere Tiere und halbstarke Männchen, die ihre ersten Erfahrungen sammeln. Geboren wurden sie der Forscherin zufolge weiter nördlich in der Ostsee. «Bei uns gibt es bisher keine etablierten Wurfplätze und nur einzelne Nachweise von Geburten.»
Mancher Fischer sieht die Rückkehr der Kegelrobben mit gemischten Gefühlen. «Die starke Präsenz der Robben an den Fangplätzen führt regelmäßig dazu, dass Fischer ihre Fanggeräte erst gar nicht mehr ausbringen, wenn sie aus der Erfahrung der letzten zwei Jahre bereits wissen, dass die Netze sowieso zerstört werden und Fänge dann ausbleiben beziehungsweise durch Robbenfraß nicht verwertbar sind», heißt es aus dem Agrarministerium in Schwerin. Sorgen bereite den Fischern, dass nach den Stellnetzen jetzt auch Aalkorb-Ketten massiv und wiederholt beschädigt würden. Hinzu komme eine zunehmende Verlagerung von Schäden in westlichere Bereiche des Küstenmeeres von Mecklenburg-Vorpommern.
Die Fischer bekommen Kegelrobben-Schäden zu 80 Prozent ersetzt. Die Verluste seien in den letzten Jahren rasant gestiegen, so das Ministerium. Die für einen Ausgleich angemeldeten Schäden erreichten demnach im vergangenen Jahr rund 300 000 Euro. Das Ministerium geht davon aus, dass weitere Verluste angefallen sind, deren Ausgleich nicht beantragt wurde, «weil dies auch mit zusätzlichem Aufwand verbunden ist». Im Jahr 2020 waren laut Agrarministerium noch knapp 27 000 Euro Schäden durch Kegelrobben gemeldet worden.