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Onsen: Wo Japaner Körper und Seele baumeln lassen

Wohl kein anderes Volk liebt heiße Naturquellen so sehr wie die Japaner. Unser Autor war zu Besuch in einem traditionellen Ryokan in einem der berühmtesten und schönsten Onsen-Orte des Inselreiches.

Mit einem Schnarren öffnet sich die hölzerne Eingangstür, dahinter empfängt Sumie Tamura mit einem freundlichen Lächeln. «Irasshaimase», «Herzlich Willkommen», so begrüßt sie mich, den eintretenden Hotelgast aus dem fernen Deutschland, und verbeugt sich mit würdevoller Anmut.

Unvermittelt spürt man, wie einem beim Anblick ihrer vornehmen Erscheinung und ihres freundlichen Lächelns ein wohliges Gefühl von Wärme und Geborgenheit umgibt.

Sumie Tamura ist die Hausherrin des «Yamamoto kan», eines Traditionshotels in Kusatsu. Das kleine Städtchen in den Bergen rund 180 Kilometer nordwestlich von Tokio ist bekannt für seine vielen Onsen – Japans berühmte heiße Naturquellen.

Ein Aufenthalt in einem von Japans unzähligen schönen Ryokans, also einem traditionellen Gasthaus oder Hotel, mit integriertem Onsen ist der Inbegriff vollkommener Entspannung.

Unter Onsen versteht man Orte, die über ein von natürlichen heißen Quellen gespeistes Bad verfügen. Da Japan in einer vulkanisch aktiven Region liegt, finden sich Onsen nahezu im gesamten Land. Wohl kein anderes Volk der Welt liebt seine heißen Quellen so sehr wie die Bewohner des Inselreichs, die stolz auf ihre Jahrtausende alte Badekultur und ihre unzähligen Onsen sind.

Die Sitten in den heißen Bädern

Onsen verfügen meist über Innen- und Außenbecken. Das «Yamamoto kan» hat zwar kein Außenbecken, vielmehr liegt der für Männer und Frauen getrennte Badebereich im Untergeschoss. Doch das tut dem Onsen-Erlebnis keinen Abbruch.

«Unsere Gäste kommen hierher, um sich zu entspannen und zu erholen», erzählt Tamura, während sie mich über knarrende dunkle Holzdielen zur Treppe geleitet, die zum Onsen hinabführt. Über der Treppe hängt eine blaue Stoffbahn mit dem Schriftzeichen «yu», was «heißes Bad» oder «heiße Quelle» bedeutet.

Zunächst legt man im Umkleidebereich die Kleidung in einen Korb. Sodann betritt man den Badebereich – nackt. Badehosen und Bikini haben in einem japanischen Onsen nichts zu suchen. Den Intimbereich kann man mit einem kleinen Handtuch während des Gehens verdecken, ins Onsen-Wasser darf es jedoch nicht mitgenommen werden.

Doch vorher muss sich jeder mit Seife gründlich waschen. Dazu setzt man sich auf hölzerne oder steinerne Schemel vor Spiegeln an einer Wand mit Wasserhahn, Bottich und Duschbrause.

Erst danach steigen die Besucher ins Gemeinschaftsbecken, über dem heißer Dampf aufsteigt. Vorsicht ist geboten: Das Wasser ist heiß, im «Yamamoto kan» mit etwa 42 bis 43 Grad sogar besonders heiß – es gibt andere Onsen mit etwas niedrigeren Temperaturen, die auch besser für kleine Kinder geeignet sind.

Onsen-Bäder sind denn auch keine Planschbecken, hineinspringen verbietet sich – abgesehen davon, dass das Wasser dafür auch zu heiß ist. Die Sitte gebietet es außerdem, während des Aufenthalts im Onsen weder laut zu reden noch Musik abzuspielen.

Die lange Tradition der Onsen von Kusatsu

Die rund 100 alten und schon in früheren Jahrhunderten von Samurai geschätzten Thermalquellen von Kusatsu gelten als äußerst fördernd für die Gesundheit. «Die Samurai kamen hierher nach Kusatsu, um ihre in Kämpfen erlittenen Wunden zu heilen», erzählt Tamura, während sie eine Schale Grünen Tee reicht.

Wenige Meter von ihrem Hotel entfernt befindet sich das «Yubatake» («Feld heißen Wassers»). Hier tritt das schwefelhaltige Quellwasser unter freiem Himmel dampfend aus der Erde und läuft dann durch mehrere Reihen von Holzrinnen.

Yubatake ist die Hauptattraktion von Kusatsu, das zu den beliebtesten Onsen-Kurorten in Japan zählt. Es verdankt seine Berühmtheit als Hochburg der Onsen auch einem deutschen Arzt.

Der aus Schwaben stammende Internist, Tropenmediziner und Anthropologe Erwin Bälz folgte in der Meiji-Ära (1868–1912), in der sich Japan rasant von einer mittelalterlichen Feudal-Gesellschaft zu einer imperialen Großmacht nach westlichem Vorbild wandelte, dem Ruf der japanischen Regierung.

Bälz verbrachte 29 Jahre in Japan. Er lehrte an der Universität von Tokio als Medizin-Professor, wurde Leibarzt am Kaiserhof und half entscheidend beim Aufbau eines modernen Gesundheitswesens.

Früh schon kam er nach Kusatsu. Bälz war überzeugt von der heilenden Wirkung der Onsen überzeugt war. Dank ihm wurde der Ort in aller Welt bekannt. Bis heute halten die Bewohner Kusatsus die Erinnerung an den Mediziner in einem kleinen, aber liebevollen Museum wach.

Das Herz und die Seele des Ryokan

Überall in Kusatsu dampft es. Und es riecht: nach den schwefelhaltigen Quellen, die die Ryokan mit Wasser versorgen. «Die meisten Gäste übernachten ein oder zwei Tage im Ryokan und nicht mehr wie früher drei, vier oder noch mehr Tage», erzählt Tamura.

Sie ist die «Okamisan» im «Yamamoto kan». Wörterbücher übersetzen Okamisan mit «Wirtin». Tatsächlich aber ist eine Okamisan weit mehr als das. Sie ist Herz und Seele eines Ryokan.

Jeden Morgen steht sie in aller Frühe in der Küche, um mit den Köchen das Essen zuzubereiten. Zusammen mit ihren Bediensteten macht sie später die Zimmer sauber, verstaut die Schlafmatratzen (Futon), wäscht die Teetassen ab und erneuert die Dekorationen im Ikebana-Stil, der traditionellen Blumensteckkunst.

Wie eine Mutter sorgt sich Frau Tamura um das Wohl der Gäste. «Sie sind für mich wie eine große Familie», sagt die 74-Jährige, während sie mich mit leisen Trippelschritten auf mein mit Tatami, also Reisstrohmatten, ausgelegtes Zimmer führt.

Das Durchgetaktete als Luxus

Traditionell ist alles durchgeplant: Was es zu Essen gibt, um wie viel Uhr es Essen gibt, selbst wann die Betten gemacht werden. Für manche Ausländer mag das lästig sein.

«Für Japaner ist das jedoch Luxus. Man sieht es als Service an, dass einem alle Entscheidungen abgenommen werden, was man wann macht», so erläutert Franz Waldenberger, Direktor des Deutschen Instituts für Japanstudien in Tokio, den kulturellen Unterschied. «Das ist ein bisschen wie in der Familie.»

Seit der Corona-Pandemie gebe es aber plötzlich viele Gäste, die es bevorzugten, ungestört zu sein, sagt Wirtin Tamura. «Früher war es üblich, dass jede Übernachtung Frühstück und Abendessen beinhaltete. Jetzt verzichten viele Gäste auf das Abendessen oder auch auf beides.» Viele verlangten außerdem, dass das Personal nicht hereinkommt und wie üblich die Betten weggeräumt.

Tradition im Wandel

Dieser Wunsch nach Privatsphäre wie in westlichen Hotels betreffe sogar das Baden. Statt des in Ryokan üblichen Gemeinschaftsbades wünschten sich heute gerade jüngere Leute ein eigenes Bad mit Onsen-Wasser auf dem Zimmer, sagt Tamura und lächelt.

«Aber wir alle werden ja älter», sagt sie und zeigt sich zuversichtlich, dass mit den Jahren auch die heute Jüngeren irgendwann den Reiz der traditionellen Onsen-Kultur wiederentdecken.

Doch auch sie und ihr Mann, der das aus dem Mittelalter stammende «Yamamoto kan» bereits in sechster Generation führt, haben sich der Zeit angepasst. Im Zuge einer großen Renovierung haben sie einige der Tatami-Zimmer zusätzlich mit westlichen Betten ausgestattet.

Wenn sich ihre Gäste am Abend in ihren Hotel-Kimono in ihr Zimmer zurückgezogen haben, das Essen abgeräumt und das Geschirr abgewaschen ist, dann steigt auch Hausherrin Tamura gegen Mitternacht in das dampfende Holzbecken ihres Ryokan – und sammelt Kraft für den kommenden Tag.

Info-Kasten: Onsen in Kusatsu

Anreise: Mit dem Flieger nach Tokio, von dort mit Bahn und Bus oder direkt im Mietwagen nach Kusatsu (Fahrtdauer: rund drei Stunden).

Einreise: Mit einem Reisepass. Bis zu 90 Tage ist der Aufenthalt im Land ohne Visum möglich.

Unterkünfte: Die durchschnittlichen Kosten pro Person und Nacht in einem Ryokan liegen zwischen 15 000 und 25 000 Yen, umgerechnet rund 95 bis 160 Euro. Eine Übernachtung im «Yamamoto kan» in Kusatsu kann je nach Reisezeit, Zimmertyp und Verpflegung zwischen etwa 15 000 und mehr als 35 000 Yen (rund 220 Euro) kosten.

Reisezeit: Mit seinen vier Hauptinseln und Tausenden kleineren Inseln erstreckt sich das langgestreckte Inselreich über mehrere Klimazonen, vom kühl-gemäßigten Norden bis zum subtropischen Süden. Die ideale Reisezeit für eine Japan-Reise hängt von den Vorlieben des Reisenden ab. Das Land ist ganzjährig gut zu bereisen.

Der von März bis Mai dauernde Frühling ist bekannt für die berühmten Kirschblüten («Sakura»). Im Sommer (Juni bis August) ist es warm bis heiß und schwül, dafür aber finden in dieser Zeit verschiedene japanische Volksfeste («Matsuri») statt. Der von September bis November dauernde Herbst ist bekannt für seine atemberaubende Laubfärbung («Koyo»). Im Winter kann man im bergigen Japan gut Skifahren gehen.

Währung: 100 Yen = 0,64 Euro (Stand: 26. Juni 2023)

Informationen: www.japan.travel/de (Website der japanischen Fremdenverkehrszentrale)

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