Kienitz (dpa/bb) – Mit zahlreichen Aktionen rücken Anwohner und Umweltschützer aus Deutschland und Polen den Naturschutz an der Oder in den Fokus. Ein Protestmarsch auf polnischer Seite soll entlang des Flusslaufs bis zum 3. Juni in 44 Etappen das Stettiner Haff in Stepnica erreichen. Das teilte die polnische Initiative «Osoba Odra» auf ihrer Internetseite mit. An diesem Montag soll der Marsch in ?wiecko gegenüber von Frankfurt (Oder) ankommen. Umweltschützer auf deutscher Seite wollen in der kommenden Woche die polnischen Akteure mit Booten begrüßen.
Begonnen hatte der Protestmarsch von polnischen Umweltschützern über rund 956 Kilometer den Angaben nach vor genau einem Monat an der Oderquelle im Nordosten Tschechiens. Ziel der Aktion ist es laut der Initiative, Gesetze zum Schutz des Flusses zu ändern und eine Anerkennung der Oder als «Rechtssubjekt» zu erreichen. «Wenn Unternehmen als juristische Person betrachtet werden können, warum dann nicht auch einen lebenden Fluss als juristische Person betrachten?», hieß es unter anderem.
Wäre der Fluss eine Rechtsperson, könnte er von einer Kommission aus Flussanrainern und gemeinnützigen Organisationen vertreten werden, und dann könnte man für den Fluss beispielsweise Schadenersatz vor einem Gericht erstreiten, wie es von der Initiative heißt.
Die Idee entstand nach Angaben der Akteure im vergangenen Jahr unter dem Eindruck des Fischsterbens. Im Sommer 2022 waren in der Oder massenhaft Fische umgekommen. Fachleute gehen seitdem davon aus, dass hoher Salzgehalt, Niedrigwasser, hohe Temperaturen und das Gift der Algenart wesentliche Ursachen für das Fischsterben waren.
Seit diesem Samstag läuft auch der polnische Alpinist Hubert Szczepan Krzemi?ski die Oder entlang. Er wolle die Strecke von der Quelle bis zur Mündung in 14 Tagen absolvieren, teilte er auf Facebook mit. Er werde laufen, weil er der Oder helfen wolle. «Ein Marsch, ein Lauf und ein Ziel: die Oder als Rechtssubjekt anzuerkennen. Wir folgen, wir lieben, wir unterstützen!», postete er.
Vor dem Hintergrund befasst sich auch die Europa-Universität Viadrina im neuen Semester mit der Oder-Katastrophe vom vergangenen Sommer. Forschende beschäftigen sich mit dem deutsch-polnischen Management der ökologischen Krise. Für eine Analyse will Politikwissenschaftlerin Anja Hennig nach eigenen Angaben mit Studierenden mit dem polnischen Botschafter und Nichtregierungsorganisationen aus dem Umweltbereich sprechen. Ziel sei, die Krisensituation inhaltlich zu analysieren und daraus Schlüsse für die deutsch-polnischen Beziehungen zu ziehen. Ergebnisse sollen öffentlich gemacht werden.
Die Frage, ob die Oder einen Rechtsstatus bekommen soll, wird an der Uni ebenfalls wissenschaftlich beleuchtet. Laut Kultursoziologin Estela Schindel geht es um einen legalen Rahmen, um Ökosystem und Flüsse zu schützen.
An diesem Montag führt der «Marsch für die Oder» der polnischen Umweltaktivisten durch S?ubice – Partnerstadt von Frankfurt (Oder). Vertreterinnen und Vertreter des Collegiums Polonicum und der Europa-Universität Viadrina werden sich auf dieser Etappe der Aktion anschließen. Ein «Professorenruderboot» mit einer Besatzung aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wird nach Angaben der Uni auf der Oder den Marsch vom Wasser aus unterstützen.
Mit Musik und Tanz in der Natur unterstützten Anwohner und Umweltschützer am Samstagabend in Kienitz im Oderbruch den gefährdeten Fluss. Über 100 Menschen kamen an den Oderdeich, wie die Veranstalter, die Traumtänzerin e.V. und die Bürgerinitiative Save Oder der dpa berichteten. Regionale Künstler traten in einem Musiktheater als Fabelwesen auf. Unter anderem machte ein «Geist des Wassers» auf die Gefährdung des Flusses durch den Menschen aufmerksam.
Am kommenden Freitag (15.00 Uhr) findet in Seelow eine Oder-Konferenz statt. Der Kreis Märkisch-Oderland will mit dem Landesfischereiverband, dem Anglerverband, dem Forum Natur Brandenburg und der Stadt Frankfurt (Oder) unter anderem über den aktuellen Zustand des Flusses und die zukünftige Bewirtschaftung des Fischbestandes in der Oder sprechen. Der Landesfischereiverband dringt auf weitere Anstrengungen, um ein erneutes Fischsterben in der Oder zu verhindern. Die Bundesumweltministerin plant im Juni eine Konferenz zu den Folgen des Fischsterbens.