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Wie ein junger Mann mit Behinderung die Welt bereist

Alexander Källner hat eine schwere Behinderung und benötigt im Alltag ständig Hilfe. Dennoch ist er seit Monaten auf Weltreise. Gemeinsam mit einem Freund überwindet er nicht nur Grenzen, sondern alltägliche Hürden in zahlreichen Ländern.

Nach der Schule oder der Ausbildung auf Weltreise gehen – das ist der Traum vieler junger Menschen in Deutschland. Doch wer körperlich schwerbehindert und sogar auf eine ständige Assistenz angewiesen ist, kann ein solches Abenteuer nicht einfach angehen. Für die beiden Norddeutschen Alexander Källner und Lovis Wiefelspütz ging es im Oktober 2022 trotzdem los. Dabei hat der 25 Jahre alte Källner eine schwere körperliche Behinderung und ist ständig auf Hilfe angewiesen.

Gemeinsam mit seinem 26-Jährigen Reisepartner und Freund ging es nach Singapur, Australien, Vietnam, Oman und in mehrere weitere Länder. Dabei haben die beiden die vergangenen fünf Monate fast rund um die Uhr zusammen verbracht. Für sechs Stunden in Sydney waren sie die längste Zeit getrennt. Mehr ist nicht möglich. Denn Källner ist ständig auf Hilfe angewiesen: Sei es beim Zähneputzen, Anziehen, Essen oder Barrieren überwinden. Müssen Treppen gestiegen werden, trägt Wiefelspütz seinen Kumpel – er macht das gern. «Zum Glück wiegt er nicht viel», sagt der junge Mann.

Dass eine Weltreise für ihn überhaupt infrage kommen könnte, sei ihm erst während eines Auslandssemesters in Spanien bewusst geworden, sagt Källner, der in Hamburg studiert hat. Ein Kommilitone hatte ihn während des Aufenthaltes bei den alltäglichen Hürden unterstützt. «Ich habe gemerkt, dass ich noch mehr Lust auf Ausland habe und dass sowas auch möglich ist. Das war vorher gar nicht Teil eines möglichen Gedankens.»

Also fragte er seinen besten Freund, ob er sich vorstellen könne, mit ihm ein solches Projekt anzugehen. Urlaube hatten sie schon gemeinsam verbracht. «Wir haben uns sehr viele Gedanken gemacht, wie eine Weltreise funktionieren kann», sagt Wiefelspütz. Denn sein Reisepartner hat eine angeborene Muskel- und Gelenkerkrankung (AMC). Damit er gehen kann, trägt Källner an den Beinen sogenannte Orthesen. «Man kann sagen, das sind stählerne Strümpfe, die mir beim Stehen und Gehen Halt geben.» Er kann keinen schweren Rucksack tragen, seine Hände können nur sehr leichte Dinge halten und seine Arme kann er nur sehr eingeschränkt nutzen. Die Freunde wollten es dennoch versuchen.

Wiefelspütz, der damals Medienwirtschaft und Journalismus in Oldenburg studierte, war klar, dass er die für ein Jahr angesetzte Weltreise unter dem Motto «hurdle the world» (Hürden in der Welt überspringen) in den sozialen Medien und auf einer Homepage dokumentieren wird. Ziel sei es, andere Menschen mit Beeinträchtigung zu ermutigen, die Welt zu entdecken. «Reisen sollte für jeden möglich sein», betont er.

Hautnah erleben die beiden auf ihrer Reise, ob und wie Inklusion in anderen Teilen der Welt gelebt wird. «Die barrierefreiste Stadt ist Singapur», sagt Wiefelspütz. «Da mussten wir keine einzige Treppe überwinden.» Die größte Hilfsbereitschaft haben sie in Asien erfahren. «Leute sind teilweise auf der Straße auf uns zu gesprintet, um uns zu helfen», berichtet Källner. In Vietnam aber etwa stehe Inklusion noch ganz am Anfang. Vor Ort suchen sie Kontakt zu Behindertenorganisationen und wie in Sydney zu einer behinderten Influencerin, um sich auszutauschen.

Ob die Weltreise tatsächlich ein Jahr dauern kann, ist noch unklar. Das Geld reicht bisher nur bis Mai. Da Källner rund um die Uhr auf Hilfe seines Freundes angewiesen ist, kann der 26-Jährige nicht zwischendurch mit Jobs die Reisekasse aufbessern, die vor allem aus Erspartem und Finanzspritzen ihrer Familien besteht. Deshalb haben sie eine Spendenkampagne auf der Plattform GoFundMe ins Leben gerufen. Sie hoffen, noch genügend Zuwendungen zu erhalten, um auch nach Mai weiter reisen zu können.

Vorbild der beiden ist der Aktivist für Inklusion und Barrierefreiheit, Raúl Krauthausen. In einem Podcast wies Krauthausen im August 2022 darauf hin, wie kostspielig Reisen sein können, wenn man wie er als Rollstuhlfahrer auf eine persönliche Assistenz angewiesen ist. Deren Aufenthalt und Anreise müsse er ebenfalls bezahlen. Und arbeitsrechtlich müsse die Assistenz nach vier Tagen Einsatz ohne Pause eigentlich ausgetauscht werden. Tendenziell würden daher Menschen mit Assistenzbedarf eher in Deutschland und eher seltener Urlaub machen, sagte Krauthausen.

Für Källner ist sein Reisepartner während des Trips Freund und Assistent zugleich. «Die letzten Monate waren für Lovis eine ganz schöne Belastung», erzählt er. «Das Thema Verantwortung ist ein großes Ding jeden Tag. Ohne mich geht es halt nicht oder nur sehr schwierig», sagt Wiefelspütz. Bevor es nach Südamerika weiterging, waren sie deshalb für ein paar Tage zum Luftholen in Madrid. Källners Mutter kam, um sich wie auch Zuhause um ihren Sohn zu kümmern. Und für seinen Reisepartner bedeutete das eine Auszeit.

Aber auch der Helfer selbst ist auf seinen Freund angewiesen. Denn Wiefelspütz hat ADHS. «Wir haben beide unsere ganz speziellen Beeinträchtigungen», sagt der 26-Jährige. Reiseorganisation und Planung machten ihn «kirre». Zudem verwaltet Källner die Finanzen. «So sind wir ein Team, das gut miteinander funktioniert.»

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