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Aufforsten im Schilderwald – Wann werden es zu viele Verkehrszeichen?

Ein Wimpernschlag dauert den Bruchteil einer Sekunde. So wenig Zeit braucht es auch, um ein Verkehrszeichen zu registrieren. Doch vor lauter Schildern weiß man an mancher Kreuzung gar nicht, wohin man zuerst schauen soll. Und dann kommt noch der Gewöhnungseffekt dazu.

Es ist imposant, was da vor dem Karlsruher Tiefbauamt wächst: Auf dem Gelände züchten Mitarbeiter seit Jahren einen Schilderbaum. Von Straßennamen über Hinweistafeln bis zum klassischen Stoppschild ist quasi alles dabei. In unregelmäßigen Abständen wird ergänzt. Teils sind die Exemplare uralt und verrostet.

So abgedroschen das Bild vom Schilderwald klingen mag, so treffend kann es manchmal auch sein: 65 000 bis 70 000 Verkehrszeichen stehen allein in Karlsruhe, wie der Leiter der Abteilung Verkehrsausstattung der Stadt, Dirk Friedle, sagt. Genauer weiß es der «Herr der Schilder», wie ihn die Verwaltung auch bezeichnet, nicht – noch fehlt eine flächendeckende digitale Erfassung.

Und stetig wird aufgeforstet: Immer wieder kommen neue Schilder hinzu wie Grünpfeile für abbiegende Radfahrer, Schilder für Carsharing und E-Scooter. «Der Trend der Mobilitätswende ist spürbar», sagt Friedle. «Neue Verkehrszeichen werden dann entworfen, wenn es einen konkreten Bedarf hierfür gibt», erklärt ein Sprecher der Bundesanstalt für Straßenwesen. Einen bestimmten Rhythmus dafür gebe es nicht.

Doch der Platz ist begrenzt. Keine Straße, keine Kreuzung darf eigentlich mit Schildern zuwuchern. Es gebe Vorgaben nach Wertigkeit der Verkehrszeichen, erklärt Friedle. So sollten Stoppschilder und solche, die auf Gefahren hinweisen, am besten alleine stehen.

Mehr als 400 Verkehrszeichen gibt es laut ADAC. Kann man da den Überblick behalten? Das Sprichwort vom Wald, den man vor lauter Bäumen nicht sieht, passt hier Forschungen zufolge wohl eher in abgewandelter Form: Im Wald sieht mancher die einzelnen Bäume nicht.

Die Studenten Maximilian Pils und Nicolas Walther von der Hochschule Karlsruhe haben vergangenes Jahr mit sogenanntem Eyetracking in einer Studie das Blickverhalten von E-Roller- und Radfahrenden untersucht. Dabei untersuchten sie mit speziellen Brillen, ob Objekte bewusst wahrgenommen, also mindestens 150 Millisekunden angeschaut wurden.

Heraus kam: Radfahrende wie auch Scooter-Nutzende nahmen nur rund 28 Prozent aller Verkehrsschilder bewusst wahr. Also 72 Prozent der Schilder nicht, wie Verkehrsökologie-Professor Jochen Eckart betont. «Wenn Wege häufiger befahren werden, setzt eine Gewöhnung ein, und die Anzahl der bewusst wahrgenommenen Verkehrsschilder sinkt weiter.»

Laut der Hochschule waren 40 Probandinnen und Probanden zwar für eine Eyetracking-Studie im realen Verkehr eine vergleichsweise hohe Zahl. Die Auswahl insbesondere der Radfahrer sei aber nicht repräsentativ gewesen. Doch gingen die Ergebnisse in ähnliche Richtung wie Arbeiten etwa aus dem Bereich Auto, sagt Professor Mark Vollrath vom Lehrstuhl für Ingenieur- und Verkehrspsychologie an der TU Braunschweig.

«Es wäre auch unsinnig, wenn ich mir als Radfahrer jeden Tag jedes Verkehrsschild auf dem Weg zur Arbeit anschaue», sagt Vollrath, der auch Sprecher der Fachgruppe Verkehrspsychologie bei der Deutschen Gesellschaft für Psychologie ist. Dafür reichten die Kapazitäten des Gehirns nicht: «Wir können nur begrenzt Informationen aufnehmen.»

Das virtuelle System sei extrem darauf ausgerichtet, Reize wahrzunehmen, die sich ändern. «Wir gucken dahin, wo wir Neues erwarten», erläutert Vollrath und nennt als Beispiel Ampeln.

Farbe sei die effektivste Weise, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, sagt der Experte. «Am besten ist, wenn sie sich deutlich von der Umgebung unterscheidet.» Das erklärt das Rot bei jenen Schildern, die auf mögliche Gefahren hinweisen – während die Vorfahrtsstraße in einem vergleichsweise unauffälligen Weiß-Gelb angezeigt wird.

Problematisch werde es, wenn zu viele Schilder oder zum Beispiel zu viele rote beisammenstehen. «Dann geht der Rausstech-Effekt verloren», sagt Vollrath. Wie schnell man ein Schild erfasst, hänge auch vom eigenen Tempo ab. Bis zu 400, 500 Millisekunden könnte man benötigen. «Eine Sekunde wäre also gut, um drei Schilder wirklich wahrzunehmen.»

Wie viele Unfälle wegen übersehener Schilder oder Ampeln passieren, wird nicht erfasst. Mal könne die Polizei das gut nachvollziehen, sagt eine Sprecherin des Innenministeriums von Baden-Württemberg. Aber häufig wisse man nicht, ob jemand zum Beispiel bewusst zu schnell gefahren ist oder ein Schild mit Tempolimit übersehen hat.

Immer wieder wird im Schilderwald aber auch durchgeforstet: So lief laut Straßenverkehrs-Ordnung Ende Oktober vergangenen Jahres die Gültigkeit unter anderem für das rotumrandete Dreieck als Warnung vor einem beschrankten Bahnübergang ab sowie für das Zeichen 388 – Seitenstreifen für mehrspurige Kraftfahrzeuge nicht befahrbar.

Wer sein Wissen aus der Führerscheinprüfung auffrischen will: Die Bundesanstalt für Straßenwesen veröffentlicht Übersichten über Änderungen im Verkehrszeichenkatalog im Internet.

Und manchmal erledigen sich die Dinge auch fast wie von selbst: Ein markierter Radfahrstreifen etwa beinhaltet automatisch ein Halteverbot, wie Friedle von der Karlsruher Verkehrsausstattung sagt. «Da brauchen Sie dann keine weiteren Schilder mehr.»

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