Berlin (dpa/tmn) – Playmobil, das Überraschungsei und Hello Kitty – je nachdem wie alt Sie sind, mögen Sie es vielleicht kaum glauben: Aber all das feiert in diesem Jahr 50. Geburtstag. Ach ja, der VW Golf ebenfalls. Der war zwar nie so niedlich wie die japanische Comic-Figur mit Katzenohren – und so rund wie das süße Ei war höchstens sein Vorgänger der Käfer. Aber vielseitig wie das Systemspielzeug aus Franken ist der Kompakte bis heute geblieben.
Ein Blick zurück auf Technik und Gestaltung. Wie gut die Generationen optisch wegkommen, hat Design-Professor Paolo Tumminelli von der TH Köln jeweils gesondert bewertet – pointiert und ganz subjektiv.
Der Golf I – 1974 bis 1983
Der Nachfolger des Käfers rollte am 29. März 1974 in Wolfsburg erstmals in Serie vom Band. Im Vergleich zum Knubbel-Käfer mochte der Neue wie vom anderen Stern gewirkt haben. Doch wassergekühlter Frontmotor- und -antrieb sowie die kantig-klare Designsprache und Technik hatten sich kurz vorher bereits beim Scirocco und Passat gezeigt.
Man betonte die praktischen Seiten: «Die tiefe Gürtellinie macht ihn übersichtlich, die abfallende Fronthaube gibt den Blick auf die Fahrbahn bis kurz vor den Wagen frei. Das tief heruntergezogene Heckfenster macht Rückwärtsrangieren problemlos.» Und ja – einen Parkpieper braucht im I niemand. Praktisch: Heckklappe und umklappbare Rücksitzlehne.
Der Entwurf von Giorgio Giugiaro war auf Anhieb ein Erfolg. Schon im Oktober 1976 konnte der einmillionste Golf gefeiert werden, so der Hersteller. Der sportliche GTI folgte im selben Jahr. Als «Erdbeerkörbchen» rollte 1979 das Cabrio vor – mit Überrollbügel, der für diesen Spitznamen sorgte. Insgesamt nennt VW 6,9 Millionen gebaute Autos der ersten Generation.
Die Designkritik von Paolo Tumminelli: «Genie. Rund und eckig, kompakt und robust, bürgerlich und mondän, sympathisch und autoritär, sparsam und sportlich, der Golf entsprach perfekt der Weltanschauung der postmodernen Mitte, die sich nach Neuem sehnte und gleichzeitig Sicherheit brauchte. Die ambivalente Qualität des Giugiaro-Designs – altbewährt und progressiv zugleich – verschaffte dem Golf I Eigenständigkeit und qualifiziert ihn heute zur Ikone, die eine Automobilgeneration geprägt hat»
Der Golf II – 1983 bis 1991
Mehr Platz und bessere Aerodynamik gibt es beim zweiten Golf, der 1983 auf den Markt kam. Als Meilensteine nennt das Wolfsburger Archiv etwa den ersten geregelten Kat (1984), ABS (1986) und den Allradantrieb im Syncro (1986). Der erste Golf-Motor mit Vierventil-Technik debütierte im selben Jahr.
Als sportlicher Höhepunkt der Generation gilt der Rallye Golf G60 mit 160 PS und dem namensgebenden G-förmigen Verdichter ab 1989. Weitere Variante: Der Golf Country, der ab 1990 mit Allradantrieb auf SUV machte. Insgesamt nennt VW 6,3 Millionen gebaute Autos.
Die Designkritik: «Kopie. Völlig uninspiriert bläst Volkswagen die Giugiaro-Form auf: Alles wächst, wenig ändert sich. Der Golf II wird 30 Zentimeter länger bei nur 7,5 cm mehr Radstand: ein durchaus erwachsenes, wenn auch schwerfälligeres Erscheinungsbild. Techniker jubeln, da der Wagen nun mit vielen höherwertigen Modellen wie Carat, G60 und Syncro mehr Power, Luxus – mehr Substanz – ausstrahlt. Was an Ästhetik verloren geht, wird mit Glaubwürdigkeit wett gemacht. Somit steht die 2. Baureihe Pate für die Generation Golf».
Der Golf III – 1991 bis 1997
Die dritte Generation startete 1991 vor allem sicherer. So wurden laut VW unter anderem die Crash-Eigenschaften verbessert. Auch waren ab 1992 Frontairbags verfügbar, Seitenairbags ab 1996 und im selben Jahr wurde ABS serienmäßig.
Mehr Power versprach ab 1991 der erste Sechszylinder im Golf im VR6. Das Erdbeerkörbchen wurde 1993 erneuert – vom Golf II bot VW kein eigenes Cabrio an. 1993 gab es auch den ersten Kombi Variant. 1997 war nach 4,8 Millionen Fahrzeugen Schluss.
Die Designkritik: «Emanzipation. Der Golf III gilt als die mutigste Entwicklungsstufe durch alle Generationen. Das blecherne Gesicht verzichtet auf die charakteristischen runden Scheinwerfer während die sportlich ausgesetzte Linie den Bananeneffekt – jene optische Erweiterung der dicken C-Säule Richtung hinteren Radlauf – minimiert. Qualitativ ein Schritt zurück und somit ein Kind der gierigen 90er, erhält die 3. Serie mit TDI, VR6 und allerlei Elektronik jene Eigenschaften, die dem Golf ein eigenständiges und zugleich klassenloses Image sichern.»
Der Golf IV – 1997 bis 2003
Modisch war der Golf nie. Die markante C-Säule blieb stets erkennbar – beim Vierer wieder stärker als beim Vorgänger. Gleich zu Beginn ist ein Navi verfügbar, ab 1998 das elektronische Stabilisierungsprogramm ESP – ab 1999 serienmäßig. Sechsganggetriebe finden dann ebenfalls ihren Einzug. Ab 2002 ist im R32 Tempo 250 machbar – der bis dahin schnellste Golf. Der konnte auch später ein Doppelkupplungsgetriebe (DSG) haben. Vom ersten vollverzinkten Golf liefen 4,9 Millionen Exemplare vom Band.
Die Designkritik: «Vollendung. Konzernlenker Ferdinand Piëch verschreibt dem vierten Golf minimale Fugen und maximale Reifengröße; Chefdesigner Hartmut Warkuß gelingt mit wenigen Strichen die Vollendung des Formkonzeptes. Imposanter als der Vorgänger – obwohl minimalistisch gezeichnet – glänzt der Golf IV wie ein geschliffener Monolith. Doch seine ästhetische Synthese galt vielen als zu banal. Heute dagegen als eines der besten Beispiele deutschen Designs aller Zeiten zu betrachten.»
Der Golf V – 2003 bis 2008
Der Fünfer kommt mit neuer Vierlenker-Hinterachse und steiferer der Karosserie. Doch nicht nur fester, sondern auch flauschiger sollte es werden. So konnten neben Seitenairbags im Fond Dinge wie 7-Gang-DSG, Bi-Xenonscheinwerfer, Regensensor und Panoramaschiebedach das Leben angenehmer gestalteten – gegen Aufpreis, versteht sich.
Auch neue Ableger wie der Cross Golf oder der Kompaktvan Golf Plus rollten ins Angebot. Alles in allem liefen 3,4 Millionen Stück vom Band.
Die Designkritik: «Sturm. Die 5. Baureihe sollte den Golf vor allem emotional aufladen und dem jüngeren Publikum schmackhaft machen. So entstand in aller Eile, während eines Wechsels an der Konzernspitze, der unglücklichste Golf aller Zeiten: sportlich in der Anmutung aber klobig im Auftritt. Weich, wie ein pochiertes Ei und mit den zugespitzten Augen einer A-Klasse, kam einem der Dritte-Millennium-Golf zwar innovativ vor, doch die Begeisterung hielt nicht lange.»
Der Golf VI – 2008 bis 2012
Fahren und fahren lassen? Nicht ganz. Das Thema autonomes Fahren war zwar noch nicht so dominant wie heute. Doch die Fahrer im Golf VI konnten sich von Assistenzsystemen beim Abstandhalten, Ein- und Ausparken oder Anfahren am Berg helfen lassen – und beim Rangieren durch eine Rückfahrkamera blicken.
Nach zehn Jahren Pause kam 2011 das Cabrio zurück – diesmal ohne Überrollbügel. Kein Grund zu feiern im Nachhinein: der Dieselmotor EA189, der 2015 den Dieselskandal auslöste und auch in den Golf wandern konnte – eine eigene Geschichte. Die sechste Auflage brauchte es laut VW auf 3,6 Millionen Autos.
Die Designkritik: «Camouflage. Die 6. Generation Golf war kaum mehr als eine Marketing-Erfindung. Als Walter de Silva, von Audi kommend, zum Chefdesigner der VW-Gruppe ernannt wurde, war dem Italiener das Golf-V-Design so peinlich, dass er auf ein sofortiges Facelifting bestand. Das Ergebnis – maskuliner, schnittiger, hochwertiger – war so überzeugend, dass man ihn Golf VI nannte. In Anbetracht der Ausgangslage eine stilistische Meisterleistung.»
Der Golf VII – 2012 bis 2019
Um bis zu 100 Kilo leichter und knapp ein Viertel sparsamer als sein Vorgänger trat der siebte Streich an. Beim Design wurde man wieder etwas cleaner – was den Betrachter an den ersten oder vierten Golf denken lassen konnte. Noch mehr Assistenzsysteme und viele Varianten – etwa der erste vollelektrische Golf zum 40-jährigen Jubiläum – gingen an den Start. Bis 2019 entstanden 6,3 Millionen Golf VII.
Die Designkritik: «Integration. Breiter und tiefer, angespitzter und raffinierter, der siebte Golf ist eine behutsame Weiterentwicklung des ohnehin erfolgreichen Vorgängers. Er gewann alle Preise, die ein Neuwagen gewinnen kann. Mehr Auto brauchte kein Mensch. Über jedes Maß gewachsen, war er aber länger und breiter als der Ur-Passat. Dazu kommt der Verzicht auf ein eigenständiges Gesicht. Genau gesehen ist der 7er deswegen kein echter Golf mehr, sondern ein kurzer Passat oder eben eine von vielen Varianten des VW-Modular-Querbaukastens. Der Golf sublimiert hier im neuen Selbstverständnis der Marke VW.»
Der Golf VIII – 2019 bis heute
Evolution statt Revolution – auch der Neue ist auf Anhieb als Golf zu erkennen. Innen aber gibt es nun auch in der Basis nur noch digitale Instrumente. Allerdings bekommt das Trademark der narrensicheren Bedienung im Blick vieler Tester und Kunden Macken. Im Fokus: die umständliche Bedienung über Touchflächen und Sprachsteuerung. Dazu gab es Probleme bei der Software, die VW mit einer «freiwilligen Servicemaßnahme» anging. Mehr als eine Million Autos wurden bislang verkauft.
Pünktlich zum Jubiläum startet das Facelift – unter anderem mit optischen Retuschen. Beim Bediensystem hält ein Sprachassistent mit ChatGPT Einzug. Bei den Antrieben etwa hat VW die rein elektrische Reichweite beim Plug-in-Hybrid auf «mehr als» 100 Kilometer gebracht. Glänzende Aussichten? Wird sich zeigen – immerhin lässt sich das VW-Logo illuminieren.
Die Designkritik: «Retro. Der Golf ist ein Golf ist ein Golf. Aber. Wenn eine und dieselbe Plattform 14 Modelle von sechs verschiedenen Marken zugrunde liegt, könnte jede Änderung tödlich für die Marke Golf sein. Also bleibt praktisch alles wie gehabt, Weiterentwicklung kommt von innen. Zum Golf VIII gibt es nichts zu sagen. Ungeübte tun sich schwer, ihn von seinem Vorgänger zu unterscheiden. Jetzt, wo er 50 wird, stellt man fest, so wie Käfer und Fiat 500 hat auch der Golf das Recht erworben, ein Remake von sich selbst zu sein.»